Mit der Flåmsbahn durch grandiose Kulisse
Eine ganze Region kämpfte erfolgreich für den Erhalt einer technischen Meisterleistung Norwegens
Hulda zieht alle Register der Verführungskunst – wirft sich in Pose, tanzt hingebungsvoll und singt dabei herzzerreißende Lieder. Unerwartet taucht sie aus dem Nichts auf, umgarnt ihre Bewunderer mit Schönheit, lockt sie ganz nah an sich heran. Doch nach wenigen Minuten verschwindet sie ebenso plötzlich, wie sie kam, und lässt die Verehrer im Regen stehn. Wirklich! Denn Huldas Reich ist der Wasserfall Kjosfossen hoch überm norwegischen Sognefjord, der 93 Meter im freien Fall in die Tiefe rauscht und dabei alles und jeden in einen feinen Sprühnebel taucht.
Dabei könnte sich die norwegische Verwandte unserer Loreley all die »Anmache« sparen, die Leute sind nicht ihretwegen gekommen. Sondern wegen des »steilsten Zahns« Norwegens, der Flåmsbahn, deren Strecke als die »aufregendste Nordeuropas« gilt, sie ist die weltweit steilste Eisenbahn auf Normalschiene. Dass sie heute eine der Touristenattraktionen des Landes ist, verdankt sie vor allem den Menschen, die hier ihr Zuhause haben. Als die Bahn vor 13 Jahren aus wirtschaftlichen Gründen stillgelegt werden sollte, protestierten sie heftig. Und zwar so gründlich, dass selbst das Parlament in Oslo sich des Themas annehmen musste. Ging es doch um nichts Geringeres als um eine Lebensader der Region.
Norwegens steilster Zahn
Die Geschichte der Flåmsbahn begann vor 100 Jahren, als die Eisenbahnverbindung zwischen Oslo und Bergen ihren Betrieb aufnahm. Um die Güter von Bergen hinunter zum Sognefjord zu transportieren, von wo aus sie verschifft wurden, brauchte man eine Nebenlinie dorthin. Für die Planung holte man die besten Ingenieure, denn diese Stecke musste durch ein extrem steiles Felsengebiet mit hoher Lawinengefahr gebaut werden. 1923 konnten die Bauarbeiten endlich beginnen. Was bis zur Eröffnung der Flåmsbahn am 1. August 1940 geleistet wurde, gilt bis heute als Meisterwerk norwegischer Ingenieurkunst. Von Flåm, zwei Meter über dem Meeresspiegel gelegen, schlängelt sie sich 20 Kilometer hoch zur Bergstation Myrdal auf 867 Metern. Dabei hat sie auf 80 Prozent der Strecke einen Neigungsgrad von bis zu 55 Promille, was einer Steigung von einem Meter auf 18 Meter Strecke entspricht. Insgesamt durchfährt der Zug 20 Tunnel, darunter einen Kehrtunnel, in dem er mehrere Male Schleifen dreht, um so an Höhe zu verlieren oder zu gewinnen. Die Gesamtlänge der Tunnel beträgt 5692,4 Meter. Um besonders lawinengefährdete Bereiche zu umgehen, kreuzt die Bahn den durch das enge Tal fließenden Fluss mehrfach. Doch nur an einer Stelle wurde dafür eine Brücke gebaut, ansonsten leitete man den Fluss durch Tunnel unter den Bahngleisen hindurch.
Anfangs war die Bahn dem Güterverkehr vorbehalten, erst am 10. Februar 1941 wurde der reguläre Personenverkehr aufgenommen. Für die Bewohner der Region bedeutete das eine enorme Verbesserung ihrer Lebenssituation, denn die Bahn stellt bis heute die schnellste Verbindung aus dem Flåmstal hinauf nach Myrdal und von dort weiter nach Oslo dar. Vor allem deswegen protestierten sie so vehement gegen die geplante Stilllegung.
Landschaft en miniature
Dass es dazu nicht kam, daran haben auch pfiffige Touristiker ihren Anteil, die das Potenzial der Flåmsbahn erkannten. Darunter der gebürtige Hamburger Olav Lühr, der am 1. Januar 1998 mit anderen die private Gesellschaft Flåm Utvikling gründete. Gemeinsam mit lokalen und regionalen Investoren trieb sie das nötige Geld auf, um die touristischen Voraussetzungen zu schaffen, damit mehr Urlauber in das reizvolle Tal am Sognefjord kommen. Rund 40 Millionen Euro wurden in die Bahn nebst Bahnhof, den Ausbau des Hafens und ein Hotel investiert. Inzwischen kommen die Besucher in Scharen, 2008 waren es rund 600 000 aus aller Welt, die sich auf das besondere Abenteuer Schienenstrang begaben. Doch so beeindruckend die technischen Daten der Bahn sind, beim Blick während der Fahrt aus dem Fenster rücken sie in den Hintergrund. Die Landschaft versetzt selbst Leute ins Staunen, die glauben, alles Schöne dieser Welt schon gesehen zu haben. Die Fahrt führt vorbei an abgelegenen Bauerndörfern, zahlreichen tosenden Wasserfällen und klaren Bergseen, man schaut tief hinab ins Tal in schwindelerregende grüne Abgründe und auf das Gebirge jenseits der Baumgrenze. Je höher man kommt, desto mehr meint man beim Blick ins Tal, Teil einer Spielzeuglandschaft geworden zu sein. Und dann gibt's da noch ein Kuriosum: Hinauf braucht die Bahn 40 Minuten, hinunter 15 Minuten länger. Das kommt vom vielen Bremsen. Damit die gemächliche Abfahrt sich nicht unverhofft in eine rasante Abwärtstour verwandelt, sorgen gleich fünf Bremssysteme für die nötige Sicherheit.
Obwohl es unterwegs acht Bahnhöfe gibt, hält der Zug dort nur bei Bedarf. Ein Zwischenstopp jedoch ist obligatorisch – bei Hulda am Wasserfall. Hier hält's keinen im Zug, die Fotoapparate klicken für ein feuchtfröhliches Erinnerungsfoto im Dauerbeschuss. Denn nur nur an wenige solch gewaltiger Wasserfälle kann man so nah heran, führt doch die Bahntrasse direkt über ihn hinweg.
Lohnenswert ist es auch, hoch mit der Bahn zu fahren und zurück ins Tal per Rad oder zu Fuß den »Rallarvägen«, den alten Versorgungsweg entlang der Bahnstrecke zu nehmen. Ganz neue Ein- und Ausblicke sind so zu entdecken, und immer wieder schiebt sich auch die Flåmsbahn als spektakuläres Fotoobjekt ins Bild.
Nach gut zehn Jahren ist das Ziel der Touristiker aufgegangen. Immer mehr Besucher kommen, sogar Kreuzfahrtschiffe legen inzwischen im Hafen von Flåm an, um den Reisenden diese besondere Attraktion zu bieten. Und den Menschen, die hier ihr Zuhause haben, blieb nicht nur die schnellste Verbindung vom Flåmstal in die Welt erhalten, viele fanden auch einen neuen Job bei der Bahn, im Hotel, im Hafen oder dem kleinen Museum zur Geschichte der Flåmsbahn, das gleich neben der Talstation entstanden ist.
- Infos: Innovation Norway/Norwegisches Fremdenvrkehrsamt, ABC-Straße 19, 20354 Hamburg,
- Tel.: (0180) 500 15 48 (0,14 Euro/Min.), Fax: (040) 22 94 15 88,
- E-Mail: germany@innovationnorway.no, www.visitnorway.de
- Flåmsbahn: www.visitflam.com
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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