Ein Stratege zum Erweitern der Spielräume
Udo Wolf soll nach einem Vorschlag künftig als Fraktionschef der LINKEN im Abgeordnetenhaus fungieren
Im digitalen Zeitalter sickern Personalentscheidungen schnell durch. Wieder war der Online-Dienst »Twitter« ursächlich für die frühzeitige Verbreitung des Vorschlags für die Nachfolge der scheidenden LINKE-Fraktionschefin Carola Bluhm im Abgeordnetenhaus. Denn bereits am Sonntagmittag »zwitscherte«, also sendete ein »Twitter«-Nutzer den Namen »Udo Wolf« im Internet an andere weiter. Doch spekuliert wurde bereits länger, wer Carola Bluhm, die ab Mitte Oktober Heidi Knake-Werner als Sozialsenatorin beerben soll, nachfolgen könnte.
Das Verfahren war indes abgestimmt: Im Auftrag des Landes- und des Fraktionsvorstands sondierten Landeschef Klaus Lederer und Carola Bluhm in den vergangenen Wochen die möglichen Kandidatinnen und Kandidaten, von denen es »eine Reihe gab«, wie Lederer gestern gegenüber ND betonte. Er selbst habe jedoch nicht daran gedacht, das Amt zu übernehmen. »Ich will mich weiter voll und ganz der Organisierung des Landesverbandes widmen«, sagte Lederer.
Chancen ausrechnen konnten sich offenbar neben Martina Michels insbesondere die Stellvertreterinnen innerhalb der Fraktion – also Marion Seelig und Jutta Matuschek. Aber auch der Name des jüngeren Bruders des Wirtschaftssenators Harald Wolf war von Beginn an in der Diskussion – wobei es jedoch Bedenken gab, ob zwei Brüder in Spitzenpositionen der Hauptstadt-LINKEN der Partei zuträglich sind.
Diese Bedenken zerstreuten sich indes: Um 15 Uhr gaben gestern Bluhm und Lederer ihren Vorschlag vor der Fraktion bekannt. Gewählt werden soll Udo Wolf allerdings erst im Oktober, wenn die Bundestagswahl gelaufen ist. Ausschlaggebend für die Entscheidung zugunsten Wolfs waren laut Lederer vor allem die langjährige Verankerung und die gute Vernetzung innerhalb der LINKEN. »Udo Wolf hat lange Erfahrungen im Berliner Koordinatensystem, er kennt die politischen Akteure und die Themen.«
Wolf, der 1962 in Frankfurt am Main geboren wurde, zog bereits mit 18 in den Westteil Berlins. Über die Alternative Liste kam er 1990 zur PDS, für die er Mitte der Neunziger unter anderem als Mitarbeiter von Gregor Gysi im Bundestag tätig war. Der Politologe Wolf, den Lederer als »ausgewiesenen Linken« charakterisiert, bringt überdies eine strategische Stärke ein, mit der die LINKE künftig ihre politischen Spielräume erweitern möchte – etwa um in der Krise Nachteile für arme Menschen zu verhindern.
Was damit genau gemeint sein könnte, beschrieb Udo Wolf gegenüber ND folgendermaßen: »Es geht nicht nur darum, unsere Referenzprojekte wie die Anti-Privatisierungspolitik, die Sozialpolitik, den Öffentlichen Beschäftigungssektor (ÖBS) oder die Gemeinschaftsschule voranzutreiben, sondern auch darum, die soziale Infrastruktur krisenfest zu machen und die Mieten zu dämpfen.« Als drittes Politikfeld will sich Wolf nach seiner Wahl zum Fraktionsvorsitzenden dafür einsetzen, dass die »Gerechtigkeitslücke« im Öffentlichen Dienst der Hauptstadt geschlossen wird und die Beschäftigten für ihr jahrelanges Stillhalten bei der Konsolidierung des Haushalts belohnt werden. Auch in der Klimaschutz- und Energiepolitik soll die LINKE weiter Akzente setzen.
Dass er nun offiziell vorgeschlagen wurde, freute Udo Wolf gestern sehr: »Ich freue mich auf die Aufgabe und darauf, die erfolgreiche Arbeit Carola Bluhms fortzusetzen.« Aber: »Sicherlich mit einem anderen Stil, weil wir verschiedene Charaktere sind.«
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