Arbeitskampf auf eigene Faust

Vor 40 Jahren rollte mit den »Septemberstreiks« eine riesige Ausstandswelle durch die Bundesrepublik

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 4 Min.
Zum 40. Mal jährt sich in diesem Jahr der Septemberstreik, bei dem 1969 mehr als 140 000 Beschäftigte bundesweit ohne die Unterstützung ihrer Gewerkschaften innerhalb von zwei Wochen die Arbeit niederlegten.

Der Ausstand begann in der Dortmunder Westfalenhütte, die zum Stahlkonzern Hoesch gehörte und breitete sich innerhalb weniger Tage über das gesamte Ruhrgebiet auf die saarländischen Bergbaubetriebe und die norddeutschen Werften aus. Auch in der Textilindustrie und dem öffentlichen Dienst traten Beschäftigte in den Streik. Die selbstorganisierten Arbeitskämpfe vom September 1969 richteten sich nicht nur gegen die Unternehmer: Auch die Politik der Gewerkschaften wurde damit kritisiert.

Die Unzufriedenheit in den Betrieben wuchs

Diese hatten in den Augen der Streikenden mit dem Regierungsantritt der Großen Koalition im Jahr 1966 endgültig jeden Klassenkampfgedanken aufgegeben. Sie waren der Konzertierten Aktion beigetreten. Dort handelten Gewerkschaften, Unternehmerverbände und die Bundesregierung die Tarifpolitik aus. Die Folge waren spürbare Lohneinbußen für die Beschäftigten. Im Rahmen der ersten großen Konjunkturkrise in der damals noch relativ jungen Bundesrepublik, die 1966 begann, akzeptierten viele Arbeiter die Ergebnisse zähneknirschend. Nachdem die Konjunktur aber bereits 1967 wieder angesprungen war, die Gewerkschaften jedoch weiter Lohnzurückhaltung propagierten, wuchs in den Betrieben die Unzufriedenheit.

Während der Streikwelle wurden viele Betriebe von den Arbeitern besetzt. Mit Großdemonstrationen wurde der öffentliche Druck auf die Arbeitgeber erhöht. Die Ergebnisse konnten sich sehen lassen. So erstreikten etwa die Beschäftigten der Bremer Hütte Lohnerhöhungen von 11 Prozent. Die Beschäftigten der Hoesch AG hatten nach dem Ausstand ihren Stundenlohn um 30 Pfennig aufgestockt. Nur in wenigen Betrieben blieben die Streiks erfolglos.

Doch auch über den tarifpolitischen Aspekt hinaus waren die Septemberstreiks von großer Bedeutung. Innerhalb der IG-Metall erstarkte eine kämpferische Strömung, die fortan mehr auf betriebliche Kämpfe als auf Kungelrunden setzte. Die Politik der Konzertierten Aktion wurde von der Gewerkschaft schließlich unter dem Druck der Basis aufgegeben.

Die Führung der IG-Bergbau und Energie (IGBE) hingegen ging teilweise mit Sanktionen gegen Mitglieder vor, die ohne ihre Erlaubnis in den Ausstand getreten waren. In der Presse der IGBE wurde nach den kommunistischen Drahtziehern des Streiks gefahndet. Dabei wurde sogar vor plumpen Lügen nicht zurückgescheut. So wurde einem Streiksprecher ein Wohnort in der DDR angedichtet.

Über die Kommunistenjagd der IG-Bau-Steine-Erden machten sich zudem sogar konservative Medien lustig. Sie sahen in den Septemberstreiks ein Indiz, dass die Gewerkschaften unter den Beschäftigten an Einfluss verlieren könnten und stellten den Sinn der gewerkschaftlichen Mitbestimmung infrage. Allerdings wurde auch in konservativen Medien die besorgte Frage gestellt, ob der DGB nun als Ordnungsfaktor in den Betrieben ausfalle und sich die Arbeiter an anderen westeuropäischen Ländern ein Beispiel nähmen, wo häufiger gestreikt wird.

Auch auf die Außerparlamentarische Opposition (APO) hatten die Septemberstreiks Auswirkungen. Dort war man lange Zeit der Meinung gewesen, dass die Lohnabhängigen fest ins System integriert sind und man sich für eine Veränderung der Gesellschaft auf sogenannte Randgruppen stützen müsse. Durch die Septemberstreiks entdeckten viele Studierenden die Arbeiterklasse neu. Allerdings distanzierten sich andersherum viele Streikende von der APO, in denen sie eine Bewegung der Bürgerkinder sahen. Nur in wenigen Städten kam es zu gemeinsamen Aktionen.

Von der Geschichte und vom Ausland lernen

Mit »Schneeglöckchen blühn im September« entstand 1973 ein Spielfilm, in dem es um die große Ausstandswelle geht. Der Film wird am kommenden Sonntag in Berlin zu sehen sein. Die Vorführung bildet den Auftakt zu einer Reihe von Veranstaltungen zu den Septemberstreiks, die von linken Gewerkschaftern und sozialen Initiativen organisiert werden.

Auf einem Workshop am 3. und 4. Oktober in Berlin soll es auch um aktuelle Konsequenzen aus den Ereignissen von 1969 gehen. Dort werden u. a. Teilnehmer der Septemberstreiks mit Beschäftigten diskutieren, die sich jüngst im Streik befanden. »Lange Zeit hieß es, dass heute kein Streik von den Arbeitern gewonnen werden kann«, meint Marco Lange, der den zweitägigen Workshop mit vorbereitet, gegenüber ND. »Da gucken wir ins Ausland und auch in unsere eigene Geschichte und überlegen, was wir daraus lernen können«.

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