Aufruf zum kollektiven Ungehorsam

Dienstleistungsgewekschaft ver.di kritisiert die Sparzwänge in den Bezirken

  • Andreas Heinz
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn es um die finanzielle und damit auch personelle Zukunft in den Bezirksämtern geht, spricht Werner Roepke von der Gewerkschaft ver.di vom S-Bahn-Effekt: »Die Bezirke fahren auf Verschleiß«, warnte er gestern und rief zum kollektiven Ungehorsam auf. »Die Bezirke müssen dem Senat klar machen, dass sie unter den jetzigen Verhältnissen den Haushalt nicht aufstellen können.«

Der Gewerkschaftsmann zeigte die Folgen der Sparmaßnahmen auf: »Im Januar 2001 gab es in den Bezirksämtern noch 48 587 Beschäftigte, 2008 waren es noch 25 257«, so Roepke. Das seien 42 Prozent weniger. Dieser Personalschwund führe nicht nur zu unzumutbar langen Wartezeiten bei den Kunden, sondern auch zu immer mehr Ausfällen durch stressbedingte Krankheiten bei den Mitarbeitern. Diese Politik des abgemagerten Staates müsse ein Ende haben. »Zudem sind 30 Prozent der Beschäftigten 55 Jahre und älter«, machte Roepke aufmerksam. Da könne man sich die personelle Zukunft der Ämter ausmalen.

Die Forderung von ver.di: Schluss mit dem Globalsummensystem, bei dem die Bezirke ihre Finanzen selbst verteilen können. »Da muss man sich etwas anderes einfallen lassen. So geht das nicht weiter«, meinte Roepke. Die Erfahrung habe gezeigt, dass bei der finanziellen Misere in den Bezirken meist bei Kinder- und Jugendeinrichtungen, sozialen Projekten, Bibliotheken und anderen Bildungseinrichtungen an der Sparschraube gedreht werde. Alle anderen Bundesländer haben laut Roepke für Jugendeinrichtungen mehr Geld bekommen, allein in Berlin werde eingespart. »Natürlich wissen wir auch, dass die Schulden Berlins nicht wegzudiskutieren sind, aber so sparen wir unsere Zukunft kaputt«, warnte Roepke. Auf der einen Seite werde immer wieder der Slogan propagiert: »Kinder sind unsere Zukunft«. Andererseits spare Berlin Projekte einfach weg, die den jungen Menschen helfen sollen.

Vertreter der Bezirksämter machten deutlich, dass inzwischen schon gesetzliche Aufträge nicht mehr ordentlich wahrgenommen werden könnten, weil es an Personal mangele. Immer weniger Beschäftigte müssten immer mehr Aufgaben bewältigen. So sei es zum Beispiel in Reinickendorf gar nicht mehr selten, dass Bürger bis zu acht Stunden darauf warteten, einen Ausweis beantragen zu können. »Das Dilemma ist die Selbstausbeutung«, gab Werner Roepke zu bedenken. »Die Mitarbeiter in den Bezirksämtern versuchen ja, den Andrang zu bewältigen und überschreiten dabei die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit.«

Die Bezirksverordnete aus Mitte, Anne Engelhardt (LINKE), protestierte mit ver.di-Betriebsgruppen und Mitarbeitern kommunaler Einrichtungen gestern Nachmittag vor dem Bezirksamt in der Parochialstraße. »Hände weg von unseren Einrichtungen!«, hieß es auf Handzetteln. Die Demonstranten wiesen darauf hin, dass im Bezirk Mitte 31 Millionen Euro vor allem bei Jugend- und Sozialeinrichtungen eingespart werden sollen: Seniorenklubs, Bibliotheken, Schulen und viele andere Einrichtungen seien bedroht. »Banken werden gerettet, Jugendeinrichtungen geschlossen«, so die Demonstranten.


Folgende Einsparungen sind laut ver.di im Bezirk Mitte geplant:
  • 125 Stellen sollen im Bezirksamt wegfallen
  • 4,3 Millionen Euro weniger für Tiefbau und Grün
  • Aufgabe der Bertolt-Brecht- und der Hugo-Heimann-Bibliothek
  • Schließung der Gripsschule
  • Kürzung von Mitteln zur Versorgung chronisch Kranker sowie pflegebedürftiger körperlich und geistig Behinderter. Prüfung, ob eine kostengünstigere Heimunterbringung statt Pflege zu Hause möglich ist
  • Schließung des Kulturhauses in der Auguststraße
  • Abgabe von Kinder- und Jugendklubs an freie Träger
  • Schließung des Weinmeisterhauses (Kinder- und Jugendförderung)
  • Frei werdende Stellen bleiben unbesetzt
  • Aufgabe des Gebäudes Jacobystraße (Jugendberatungshaus)
  • Beratungsstelle für Kinder in schwierigen Lebenslagen gefährdet
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