»Wo immer er war, gab es Glanz«
Fritz Behrens und der reformökonomische Ansatz eines demokratischen Sozialismus
Es scheint die »List der Geschichte« zu walten. Just in Zeiten, in denen der Krisenkapitalismus Fragen der gesellschaftlichen Alternativen auf die politische Agenda setzt, Theorie und Praxis eines Sozialismus des 21. Jahrhunderts zur Debatte stehen, Marx wieder en vogue scheint und die LINKE mit ihren verschiedenen Politik- und Denktraditionen programmatisches Profil finden muss, fällt der 100. Geburtstag des ungemein streitbaren Marxisten und international renommierten DDR-Ökonomen Fritz Behrens (1909 - 1980).
Sein Leben und Werk vereinigen auf »sehr exemplarische Weise Individuelles und Gesellschaftliches in einer Wissenschaftler-Biografie der DDR aus der Gründergeneration«, meinte der unlängst verstorbene Soziologe und profunde Behrens-Kenner Helmut Steiner. Jene Wertung zielt auf den Kreis marxistisch geprägter, in sozialistischen bzw. kommunistischen Gruppierungen politisch geformter Wissenschaftler, die sich nach der Befreiung vom Faschismus in besonderer Weise für den gesellschaftlichen Neuanfang in der SBZ bzw. der DDR engagierten. Behrens avancierte gemeinsam mit Ernst Bloch, Walter Markov, Werner Krauss und Hans Mayer zu einem der intellektuellen Pioniere an der Leipziger Universität und Schulen bildenden Hochschullehrer. Zugleich sollten nicht wenige aus diesem Kreis infolge ideologischer Diffamierung und politischer Kriminalisierung, persönlichen Repressalien sowie politischer wie wissenschaftlicher Ausgrenzung seitens des Macht- und Herrschaftsapparates der SED teils tiefe Brüche ihrer Biografien erfahren, insbesondere im Zuge der Ende der 40er/Anfang der 50er Jahre forcierten Stalinisierung der SED sowie im Umfeld des XX. KPdSU-Parteitages von 1956. Behrens gehörte zusammen mit seinem Schüler Arne Benary sowie Gunther Kohlmey, Herbert Wolf und Kurt Vieweg zu jenen DDR-Ökonomen, die Mitte der 50er Jahre alternative Entwicklungen in Theorie und Praxis der Planökonomie aufzeigten. Doch das kurze politische »Tauwetter« endete nach den Volkserhebungen in Ungarn und Polen im Herbst 1956 in einer neuen »Eiszeit«. Machterhalt sowie »Einheit und Geschlossenheit der Reihen« war die Losung der SED-Führung. Behrens und seine Mitstreiter wurden ob ihrer freimütigen Kritik und Infragestellung orthodoxer ökonomischer Dogmen des »Revisionismus« bezichtigt. Angesichts der ihm von der SED-Spitze verliehenen politischen Dimension, firmierte fortan der von Behrens initiierte reformökonomische Aufbruch unter dem aburteilenden Kampfbegriff der »Revisionismus-Debatte« in den Wirtschaftswissenschaften.
Der am 20. September 1909 in einer Rostocker Seefahrer-Familie geborne Friedrich Behrens war frühzeitig im linkssozialistischen Milieu aktiv und seit 1932 KPD-Mitglied. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre in Leipzig war er als Referendar im Statistischen Reichsamt in Berlin bzw. im Statistischen Zentralamt in Prag tätig. Ab 1946 in Leipzig lehrend und forschend, wurde er 1954 zum Stellvertretenden Direktor des in Gründung befindlichen Akademie-Institut für Wirtschaftswissenschaften in Berlin berufen und übernahm die Leitung der Abteilung »Wirtschaft der DDR«. Im folgenden Jahr wurde er Stellvertretender Chef der Staatlichen Plankommission (SPK) und Leiter der Zentralverwaltung für Statistik, damit auch Mitglied des Ministerrates.
»Wo immer Fritz aktiv war, gab es Blüte, gab es Glanz«, sagte Jürgen Kuczynski. Gemeint waren dessen Forschungen zu Theorie, Methode sowie Geschichte der politischen Ökonomie, zu Arbeitsproduktivität und »sozialistischer Warenproduktion« sowie speziell zur Rolle von Wertgesetz, Plan und Markt. Behrens' Spätwerk konnte jedoch aufgrund seiner konsequent linken, sich an Marxens Methodik orientierenden Analyse und Kritik des »Realsozialismus« zu DDR-Zeiten nicht erscheinen und ist leider auch bis dato weitestgehend unerschlossen. Mit den in den 70er Jahren in der Abgeschiedenheit der selbst gewählten inneren Emigration verfassten und 1992 postum veröffentlichten Manuskripten nahm Behrens das Ende des »Realsozialismus«, auch schon deren Ursachen benennend. So heißt es hier u. a.: »Eine Revolution, die das kritische Denken negiert und die Freiheit, den Mächtigen zu widersprechen, ohne die Möglichkeit, die Repräsentanten der Gesellschaft auf friedliche Weise zu lenken – wie die russische Revolution –, verdirbt sich selbst und restauriert die alten Strukturen.« Wirklicher Sozialismus nach Marx, so Behrens, bedeute Gleichheit und Freiheit ohne Gewalt. »Der Begriff eines demokratischen Sozialismus ist ein Pleonasmus ..., weil es ohne Sozialismus keine – wirkliche – Demokratie geben kann und der Sozialismus die Verwirklichung der Demokratie ist.« Behrens' Vision war eine sich selbst verwaltende Assoziation freier Produzenten. Das entscheidende sozialökonomische Problem sah er in der Realisierung der Eigentümerfunktion der Produzenten. Sozialismus war für Behrens Wirtschaftsdemokratie.
Zum 100. Geburtstag von Behrens laden die Rosa-Luxemburg-Stiftung und Helle Panke e. V. zu einem Workshop am 26. September (10 bis 18 Uhr) in Berlin, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin (Seminarraum 1, 1. Stock).
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