Wertpapiere für Bundespräsidenten

Lichterkreuz in Marzahn will Zeichen gegen Armut und Ausgrenzung setzen

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Sonntag ab 20 Uhr soll es in Marzahn für 20 Minuten ein riesiges Kerzenkreuz geben. Es reicht von der Endstation der Straßenbahn M8 bis zum Freizeitforum sowie auf dem Fahrradweg an der Mehrower Allee vom S-Bahnhof zum Blumberger Damm. Geboren wurde die Idee eines Lichterkreuzes gegen Armut und Ausgrenzung in der evangelischen Kirche in Marzahn.

»Es gab viele Episoden, die mich nachdenklich machten«, sagt Pfarrerin Katharina Dang dem ND. Eine Frau hatte sie beispielsweise gefragt, warum die Kirchengemeinde Geld für Briefporto innerhalb Berlins ausgebe. »Sie hat angeboten, unsere Post mit dem Fahrrad auszutragen, um das Geld zu sparen«, sagt Dang. Andere Menschen würden sich aus Scham wegen ihrer schlechten sozialen Verhältnissen in ihre Wohnungen vergraben und auch keinen Besuch einladen.

»Wir wollen diese Menschen erreichen, sie auf ihre positiven Fähigkeiten orientieren und ihnen eine Stimme geben. Menschen sind doch auch viel wert, wenn sie kein Geld haben«, so die Pfarrerin. »Ich sehe die Gefahr, dass Armut und soziale Isolierung in Marzahn ein Nährboden für rechtsradikales Gedankengut und das entsprechende Wahlverhalten sind. Dagegen wollen wir etwas tun.« Zur letzten Bundestagswahl gab es in einem Wahlbüro im Marzahner Norden die niedrigste Wahlbeteiligung von ganz Berlin und einen hohen Stimmenanteil für die NPD.

Die Kirchengemeinde Marzahn-Nord lud bereits im Juni zum Runden Tisch des Bezirkes gegen Armut und Ausgrenzung und für ein bedingungsloses Grundeinkommen ein. Daran haben sich auch nichtkirchliche Vereine und das Büro der Bundestagsabgeordneten Petra Pau von der LINKEN beteiligt.

»Bedingt durch Hartz IV ist Armut leider ein Thema im Bezirk« sagt deren Mitarbeiter Sebastian Kahl. »Wir finden es wichtig, dass die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens nicht nur ein Thema für Politiker ist, sondern dass sie auch von zivilgesellschaftlichen Gruppen aufgegriffen wird.«

Motto des Lichterkreuzes ist der Titel eines geistlichen Liedes »Lass dein Licht leuchten«. Die Marzahner sollen eine Kerze mitbringen und auf einen Zettel, ein sogenanntes »Wertpapier«, schreiben, was sie selbst alles können und sind. Dabei geht es nicht nur um berufliche Qualifikationen, sondern auch um Eigenschaften wie Teamfähigkeit oder handwerkliche Fähigkeiten. Der Runde Tisch wird diese »Wertpapiere« einsammeln, auswerten und sie eine Woche später dem Bundespräsidenten übergeben. Initiatorin Katharina Dang sagt: »Wir wollen damit darauf aufmerksam machen, dass in Armutsgebieten Menschen leben, die sehr viel können und deren Fähigkeiten man nutzen muss, statt sie als Transferleistungsempfänger zu definieren. Existenzsicherndes Einkommen für alle, das ist unser Anliegen!«

Bereits um 18 Uhr lädt das Evangelische Gemeindezentrum in der Schleusinger Straße zu einem kostenlosen Konzert mit Dota Kehr, der als »Kleingeldprinzessin« bekannten Liedermacherin, ein. Im Vorprogramm singen Kerstin Guth und der Chor einer Marzahner Grundschule. Am gleichen Ort eröffnet Bürgermeisterin Dagmar Pohle (LINKE) bereits am Vormittag die Interkulturellen Tage des Bezirkes Marzahn-Hellersdorf. So wird die Ausstellung des vietnamesischen Vereins Reistrommel »Bruderland ist abgebrannt« über das Leben die ehemaligen Vertragsarbeiter in der DDR um 12 Uhr feierlich eingeweiht werden. Zuvor gibt es eine Podiumsdiskussion zum Thema Zusammenhalt und Armut mit Vertretern von FDP, DGB und dem vietnamesischen Verein.

Mit einer Ehrung und einem Klavierkonzert wird an jene Marzahner erinnert, die vor 15 Jahren die Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien aufgenommen und integriert haben.

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