Sonnenhungrig und abwasserscheu

Warum die regierende Politik im Wahlkampf das Örtchen Kehrigk und weitere zwölf Dörfer meidet

  • Rainer Funke
  • Lesedauer: 5 Min.

Für gewöhnlich machen sich, wenn Wahlen nahen, die Hilfskräfte der bisher regierenden Kandidaten und Parteien auf, um herauszufinden, wie ihre Chefs beim gewöhnlichen Wähler in ein günstiges Licht gerückt werden können. Als geeignet dürften sich Erntedankfeste erweisen. Inmitten des geborgenen Korns vermag man sich trefflich als politischer Erntehelfer darzustellen und den Landwirten gleich noch versprechen, künftig alles zu tun, um sie zu unterstützen. Auch das Durchschneiden eines Bandes bei Freigabe einer Umgehungsstraße erweist sich als beliebt. Ebenso ein Besuch im Parteiortsverband, auf einem Wochenmarkt oder in einem florierenden Unternehmen. Ein wenig Sonne scheint beim Händeschütteln immer auf den Kandidaten für das politische Amt, selbst wenn er mit der Sache selbst wenig oder nichts zu tun hat.

Bürger von Kehrigk und Limsdorf, beides Ortsteile von Storkow im Landkreis Oder-Spree, und zwölf Dörfern des Unterspreewaldes dachten sich deshalb, dass man den Wahlkampf einmal umkehren müsste: Die Bewerber sollten sich mit den Realitäten, also mit den Sorgen der Leute beschäftigen, meint Manfred Fischer. Mit anderen hat er die Bürgerinitiative »Wasser- und Abwasserpreise im Einzugsbereich des ehemaligen Wasser- und Abwasserverbandes Alt Schadow – WAVAS« gebildet. Hintergrund sind ausufernde Preise.

Für einen Zwei-Personen-Haushalt muss man im Schnitt 11,63 Euro pro Kubikmeter berappen. Ansonsten zahlt man im Wasserverband Königs Wusterhausen, in den man den überschuldeten WAVAS eingegliedert hat, lediglich 5,52 Euro.

Nach 1990 hatte die Landesregierung das Abwassermodell aus dem dicht besiedelten Nordrhein-Westfalen schlichtweg kopiert und im Falle Alt Schadow für nicht einmal 5000 Einwohner auf einer Fläche von 19 mal 15 Kilometern eine Anlage in den märkischen Sand gesetzt, die im mechanischen Teil auf 24 000 und im biologischen Teil auf 12 000 Bewohner ausgelegt war.

Das führte dazu, dass die Anlage nicht einmal zur Hälfte ausgelastet ist. Der Transport der Abwässer über etliche Kilometer macht einen erheblichen technischen Aufwand nötig, der den Betrieb weiter verteuert. Sie verbleiben zu lange in der Kanalisation, Ablagerungen sind unausweichlich, die aufwendige Reinigung führt zu einem hohen Verschleiß der Gerätschaft. Wasser wird zum Luxus, der Bürger spart am kühlen Nass, wo er kann, was wiederum zu ansteigenden Fixkosten führt. Spart er nicht, steigen die Kosten ebenfalls. Zudem hat die Bürgerinitiative das Gefühl, dass sie mit ihren Gebühren das dem Alt Schadower System zugeordnete Tropical Island mit subventionieren. Nach ihren Berechnungen zahlt der überdachte Freizeitpark lediglich 2,58 Euro pro Kubikmeter Wasser und Abwasser. Immerhin verbraucht er allerdings 42 Prozent des verbandsinternen Aufkommens an Trinkwasser und sorgt für 37 Prozent des Abwassers.

Die Bürgerinitiative lud also frühzeitig jene Abgeordneten von SPD und CDU ein, die bei der Wahl am 27. September in der Region kandidieren. Allesamt sagten sie »aus terminlichen Gründen« ab. Nur von den im Dorf hängenden Wahlplakaten schauen sie auf die Bürger herab. Allein die Linkspartei war bereit, im Forum mit zu debattieren. Die Initiative strich den Termin im Landgasthaus Kehrigk. Mit der Linkspartei allein muss sie das Problem nicht erörtern. Die kümmert sich mit den einer Oppositionspartei möglichen Mitteln seit eh und je um die Ärgernisse in der Abwasserproblematik.

Die Reaktion auf die Bemühungen der Bürgerinitiative, die Sachlage mit der verantwortlichen Politik in irgendeiner Form auch nur zu erörtern, verharrt oder versickert im Nichts. Vier Briefe an Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) bleiben zunächst ohne Antwort. Dann doch ein Schreiben aus dem Innenministerium: Fazit: nicht zuständig. Wochen später äußert sich die Staatskanzlei: das Innenministerium sei verantwortlich. Auch dieses meldet sich: das Schreiben wurde aus Gründen der Zuständigkeit an das Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz weitergeleitet. Hernach ein Anruf aus der Staatskanzlei, der das Problem in einem einstündigen Gespräch ohne eine schriftliche Festschreibung aus der Welt schaffen soll. Bei der Bürgerinitiative fühlte man sich verklappst.

Besuche in den Sprechstunden des SPD-Bundestagsabgeordneten Jörg Vogelsänger und der märkischen CDU-Vorsitzenden Johanna Wanka – beide versprechen, sich zu kümmern. Seither hat die Bürgerinitiative nie wieder etwas gehört. SPD-Landtagsfraktionschef Baaske antwortet auf den Bürgerhinweis auf ungerecht empfundene, krass unterschiedliche Preise und deshalb Ungerechtigkeit im selben Abwasserverband: »Sie würden auch nicht akzeptieren, wenn Ihr Nachbar ein Auto auf Kredit kauft und von Ihnen verlangt, dass Sie einen Teil der Kreditrate bezahlen, weil sie ihm selbst zu hoch ist.« Fischer: Die Bürger haben allerdings weder ein unsinnig großes Auto bestellt noch gekauft, das war zweifellos die Landesregierung.

CDU-Politiker Dieter Dombrowski lässt wissen, zu gegebener Zeit werde man antworten. Das ist neun Monate her. Die Bürgerinitiative wartet noch immer. Der Landesrechnungshof will später prüfen, der Petitionsausschuss meint, das Verwaltungsgericht solle entscheiden. Die Liste solcher und ähnlicher Antworten ließe sich noch eine gute Weile fortsetzen. Zumal einige betroffene Orte zum Landkreis Oder-Spree, andere zu Dahme-Spreewald gehören. Auch hier bestreitet man jeweils Zuständigkeit und verweist auf die Verantwortung der anderen Seite. Eine anscheinend ebenso unendliche wie absurde Geschichte.

Die Landtagsabgeordnete Renate Adolph, in der Linksfraktion Sprecherin in Sachen Verbraucherschutz, verwies bereits mehrfach darauf, dass Alt Schadow kein Einzelfall sei. Es müsse hier und im Bereich anderer arg belasteter Zweckverbände viel Geld in die Hand genommen werden, um in der dünn besiedelten Mark überdimensionierte Anlagen zurückzubauen, die Abwasserbehandlung zu dezentralisieren. Das sei auf Dauer erheblich ökonomischer, ökologischer und vor allem auch preisgünstiger für die Bürger.

60 betroffene Menschen, auch Manfred Fischer namens der Bürgerinitiative, haben nunmehr über zwei Anwaltskanzleien Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht. Der regierenden Politik dürfte dies im Moment wenig Sorge bereiten. Denn solche Verfahren brauchen derzeit wegen der Überlastung der Gerichte etwa vier Jahre, ehe sie verhandelt werden. Bis dahin fließt viel Abwasser durch die Alt Schadower Kanalisation.

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