Eimsbütteler Dreikampf
Im Hamburger Bundestagswahlkreis 21 liefern sich SPD, CDU und Grüne ein Kopf-an-Kopf-Rennen ums Direktmandat nach Berlin
Wenn ein CDU-Kandidat einem FDP-Politiker Unseriosität vorhält und ein Sozialdemokrat verbal auf eine Grüne losgeht – dann sind wir in Hamburg-Eimsbüttel, Bundestagswahlkreis 21 und ungewohnt umstritten. »Sie verklausulieren und reden indirekt«, wirft Danial Ilkhanipour von der SPD Krista Sager beim Podiumsgespräch im Bürgerhaus Eidelstedt vor – weil die grüne Politikerin seiner Meinung nach Koalitionen mit der CDU nicht entschieden genug ausschließt. CDU-Politiker Rüdiger Kruse dagegen ist über die Prophezeiung des FDP-Kollegen Burkhard Müller-Sönksen empört, seine Partei werde bald nach der Bundestagswahl die bundesweit einzigartige schwarz-grüne Senatskoalition beenden.
Es gibt das geflügelte Wort von den »Hamburger Verhältnissen«, in denen durch den dichten Elbnebel nur die Unklarheit hervorschimmert. In Eimsbüttel hingegen schien die politische Welt bis vor kurzem noch geordnet. Seit 1957 hat der innenstadtnahe Bezirk mit 247 000 Einwohnern, der die Hamburger Universität und die Firma Beiersdorf beheimatet, ausschließlich Sozialdemokraten in den Bundestag geschickt. Vor vier Jahren gewann Niels Annen das Direktmandat mit 45,1 Prozent, einem fast ebenso hohen Stimmanteil wie die Kandidaten von CDU (33,7) und Grünen (11,5) zusammen.
Wenn SPD-Genossen lieber CDU ankreuzen
Doch Annen schaut dem Wahlkampftreiben diesmal nur zu. Der Parteilinke wurde auf der Nominierungskonferenz der SPD im November 2008 von Danial Ilkhanipour mit 45:44 Stimmen haarscharf geschlagen. Der 27-Jährige hatte erst in letzter Sekunde seine Kandidatur gegen den vermeintlich unangefochtenen Annen erklärt, nachdem seine Unterstützer zuvor ausreichend Delegiertenplätze erhalten hatten. Seitdem schlagen die Wellen in der Partei hoch, die Mitglieder fremdeln mit dem Kandidaten. Jüngst wurde die Vorsitzende der SPD Eimsbüttel-Nord, Carola Ensslen, zum Rücktritt gedrängt, weil sie angekündigt hatte, nicht Ilkhanipour, sondern Rüdiger Kruse zu wählen.
Kruse macht sich Hoffnungen, für die CDU das erste Direktmandat in Hamburg seit 1994 zu erringen, erst recht, seit eine Umfrage im Januar ihm zwei Prozentpunkte Vorsprung vor Ilkhanipour verhieß. Der 48-jährige Geschäftsführer eines Naturschutzverbandes (»Mein Thema ist die Nachhaltigkeit«) repräsentiert die liberale Großstadt-CDU vom Schlage Ole von Beusts. Als Umweltexperte sitzt er seit acht Jahren in der Hamburgischen Bürgerschaft, spricht sich gegen die Abwrackprämie und das Pannen-AKW Krümmel aus, wirbt aber auch für einen »gesamtdeutscher Konsens für Energie-Effizienz«, der die übrigen Kraftwerke noch 15 bis 20 Jahre am Laufen hielte.
Der 48-Jährige ist eher der Mann fürs Zwiegespräch mit Experten als fürs wabernde Bierzelt. Kruse formuliert Sätze wie »Südlich von Lüneburg interessiert sich niemand für maritime Fragestellungen«, wenn es um die Krise der HSH-Nordbank und ihre Auswirkungen auf die Schiffswirtschaft geht. Dem widerspricht kaum jemand, aber es applaudiert auch keiner. Auch der Ausflug aufs Twitter-Terrain (»Für’s ganze Team Getränke holen: 1xTchai Latte grande, 2 low fat Cappuccino, 1 decafe Espresso«) hat ihm noch keinen entscheidenden Vorsprung verschafft. Kruses Chancen sinken, wenn sein FDP-Kollege Müller-Sönksen ihm viele Erststimmen aus dem bürgerlichen Lager wegnimmt. Der Liberale mit ausgeprägtem Hang zur Selbstdarstellung sorgte für den jüngsten Eklat, als er seine Wahlkampfzeitung »Hamburger Freiheit« im Design der »Hamburger Morgenpost« herausbringen wollte, nach einer Intervention des Boulevardblatts aber abwandelte. Auf den 16 Seiten finden sich 15 Fotos des Kandidaten. »Eine Fotoquote, die sonst nur Erich Honecker zu seinen besten Zeiten im ›Neuen Deutschland‹ erreicht hat«, spottete die »Morgenpost«.
Wenn zwei sich ums Mandat streiten, freut sich vielleicht die Dritte – dachte sich die einstige Zweite Bürgermeisterin Krista Sager von den Grünen und warf im Februar unter dem Motto »Krista direkt« ihren prominenten Hut in den Ring. »Wenn viele Sozialdemokraten den SPD-Kandidaten nicht wählen wollen, ist es nicht die Aufgabe der Grünen, diesem zur Hilfe zu eilen«, begründete die 56-Jährige ihren Versuch, als zweite Grüne nach Hans-Christian Ströbele in Berlin-Friedrichshain ein Direktmandat zu gewinnen.
Ein Möbelhaus wird zum Wahlkampfthema
In Erfahrung und Rhetorik ist Sager ihren beiden Rivalen aus den Großparteien überlegen. Die Fraktionsvize der grünen Bundestagsabgeordneten wirbt für ökologische Modernisierung und eine einmalige Vermögensabgabe, für lokale Fragen steht ihr Horst Becker von den Eimsbütteler Grünen zur Seite. Im Bürgerhaus Eidelstedt kommt sie damit allerdings nicht so leicht durch. Eidelstedt ist der Teil Eimsbüttels, in dem seit Monaten ein Streit um die Ansiedlung eines Möbelhauses schwelt und jene Anwohner, die Verkehrschaos und Lärm befürchten, sich von den in der Stadt mitregierenden Grünen verraten fühlen.
Eine vorwurfsvolle Frage nach der anderen prasselt auf Sager ein, die als Architektin des schwarz-grünen Bündnisses in der Hansestadt gilt. Dieses Image reduziert ihre Chancen, es Ströbele nachzutun. Wie bei Ilkhanipour bröckelt auch bei Sager die eigene Basis. Da kann sie noch so oft beteuern: »Schwarz-Grün ist kein Modell für die Bundesebene, schließlich gibt es dort auch die CSU« – die Geister, die sie rief, die wird sie wahrscheinlich nicht mehr los.
Vermutlich entscheidet den Wahlkreis, ob mehr Ilkhanipour-kritische SPD-Anhänger Sager wählen oder mehr Sager-Kritiker unter den Grünen-Sympathisanten den sozialdemokratischen Nachwuchsmann als das kleinere Übel ansehen. Deswegen setzt der frischgebackene Jurist Ilkhanipour vornehmlich auf Attacken gegen die Spitzen-Grüne. »Sie haben nur Stadtfahrräder durchgesetzt und Ihr Schulmodell«, spottet er über die Senatsbilanz nach anderthalb Jahren Schwarz-Grün. Beinahe theatralisch hebt er die Stimme, geht es um Koalitionsschwüre oder das Gegenteil davon. »Wie Dagmar Metzger hebe ich nicht die Hand für Rot-Rot-Grün«, donnert es in den Saal, und falls jemand das nicht verstanden hat, legt er noch einmal nach: »Klarer kann man es nicht sagen.« Neben ihm sitzt Herbert Schulz von der Eimsbütteler Linkspartei und lächelt etwas gequält.
Ansonsten hält Ilkhanipour sich zurück. Als der Moderator ihn einige Minuten zu übersehen scheint, blickt er zwar verständnislos und fordernd in dessen Richtung, ein lautstarker Zwischenruf bleibt aber aus. Sachlich bleiben, keine Konfrontation eingehen. Die im lange verdeckt geführten Zweikampf mit Annen erworbene Rolle des forschen Schurken möchte er loswerden. Schließlich merkt der einstige Hamburger Juso-Vorsitzende vom rechten Flügel gerade, dass Himmelsstürmen schwierig ist, wenn die halbe Partei sich weigert, Leitern hinzustellen. Der Kandidat hängt in der Luft. Die SPD Eimsbüttel hat auf ihrer Website Ilkhanipours eigene Wahlkampfseite verlinkt, verliert aber selbst kein Wort über den ungeliebten Kandidaten. Auf vielen Stelltafeln im Bezirk finden sich noch Hinweise auf längst vergangene Veranstaltungen. Helfer zu finden, die regelmäßig Plakate überkleben, ist nicht einfach.
Zwei kommen ganz sicher ans Ziel
»Jetzt müssen die Leute die Kosten tragen, die von unseren Rettungen profitiert haben.« Auf zahlreichen Straßenveranstaltungen wärmt Ilkhanipour die Seelen seiner vermeintlichen Stammwähler mit Forderungen nach flächendeckendem Mindestlohn oder der Abschaffung von Studiengebühren. »Sozialdemokratie heißt für mich: Jeder muss können dürfen«, sagt der, der als Kind von Migranten keine Gymnasialempfehlung erhielt. Nur weil seine Mutter darauf bestand, konnte Ilkhanipour in Eidelstedt sein Abitur »bauen«.
Wäre da nicht diese Vorgeschichte mit Annen, er könnte seine Forderungen biografisch optimal untermauern. Für ihn geht es am Sonntag um das meiste: Während seine Konkurrenten Krista Sager sicher und Rüdiger Kruse wahrscheinlich über die Landeslisten ihrer Parteien das Ticket nach Berlin lösen, ist Ilkhanipour auf den Sieg in Hamburg-Eimsbüttel angewiesen, um in den Bundestag einzuziehen.
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