Grenzspuren am Flutgraben

Die Mauer neu entdecken – Führungen durch einen ehemaligen Betrieb in Treptow

  • Steffi Bey
  • Lesedauer: 3 Min.
Aufs Dach durften einst nur die Grenzer. Der Metallsteg machte es ihnen leichter.
Aufs Dach durften einst nur die Grenzer. Der Metallsteg machte es ihnen leichter.

Die Geschichte hat das Haus Am Flutgraben 3 in Treptow zu einem besonderen Grenzort gemacht: Nur durch die Fassade war der ehemalige Ostberliner Betrieb VEB Autotrans vom Westteil der Stadt getrennt. Jetzt kann man auf den Spuren von einst die Mauer an dieser Stelle entdecken.

Wo der Flutgraben zwischen Oberbaum- und Elsenbrücke in die Spree mündet, pulsiert heute das Leben. Kreuzberg und Treptow treffen dort aufeinander, und vor allem junge Leute besuchen auf dem weitläufigen Areal der Arena Berlin die Bars, Cafés, Theater und Clubs. In das letzte Haus, das sich scheinbar ein wenig gebogen dem Flusslauf anpasst, sind 1993 Künstler gezogen. 44 Ateliers befinden sich inzwischen in dem vom Flutgraben e.V. genutzten Backsteinbau.

Jetzt kann man diesen ungewöhnlichen Ort während einer 90-minütigen Führung kennen lernen. »Die Mauer neu entdecken« nennen die Historikerinnen Christine Brecht und Elke Kimmel sowie die Kunsthistorikerin Svenja Moor vom Verein Grenzläufte ihr Projekt. »Wir möchten auf räumliche Dimensionen und die Brutalität des DDR-Grenzregimes aufmerksam machen und vor allem Jugendliche und junge Erwachsene zur Auseinandersetzung mit der Geschichte der Berliner Mauer anregen«, sagt Christine Brecht.

Etwa ein Jahr lang hat sie dafür recherchiert. Sie sprach mit ehemaligen Betriebsangehörigen und Grenzsoldaten, nutzte Archive und das Internet. Die 43-Jährige ist beeindruckt vom Mut der jungen Menschen, die sich einst vom Dach des Gebäudes abseilten, um in den Westen zu gelangen. Spannend fand sie zugleich, »wie oft die absurden Vorschriften im Grenzbetrieb unterlaufen wurden«. »Viele Arbeiter haben mit der Zeit die Abschottung verdrängt und im Alltäglichen nicht mehr wahrgenommen«, berichtet die Historikerin. Andere wiederum fühlten sich eingesperrt, wie in einem Hochsicherheitstrakt bewacht und beobachtet.

So waren die Fenster in den Treppenhäusern Richtung Flutgraben mit Metallplatten zugemauert. In die Werkstätten drang Tageslicht nur ungehindert von Treptower-Seite. Glasbausteine versperrten die klare Sicht nach Kreuzberg.

Auf den Spuren dieser »Zeitzeugen« beginnt auch die Führung. Fotoapparate klicken in den Fluren, und die Teilnehmer bewundern anschließend den weiten Blick aus den Laubengängen. »Die waren zu DDR-Zeiten zugemauert, durften später nicht mehr betreten werden«, sagt Christine Brecht. Immer wieder seien die Sicherheitsmaßnahmen verschärft worden. Denn Betriebsangehörige versuchten zu fliehen. In der ersten Woche nach dem Mauerbau schafften es beispielsweise sieben Mitarbeiter nach Westberlin. Auch später gab es Versuche. Und das, obwohl im Gebäude ein Posten der Grenztruppen war.

Christine Brecht führt die Interessierten auch auf das Werkstattdach. Dort zeigt sie den extra installierten Laufsteg für die Grenzer, Reste von Signalanlagen und die Luke, durch die die Posten auf das zwanzig Meter hohe Dach kamen. »Es ist schon bedrückend, wenn man das hier so sieht«, sagt eine junge Frau aus Hessen.

Unter dem Dachboden sind ebenfalls Spuren zu finden: Grenzposten, die sich dort zwischen ihren Streifengängen aufhielten, kritzelten in die Deckensteine. »Nie wieder Kanten« und »Bald geht es nach Hause« ist unter anderem zu lesen.

In der mittlerweile leeren Werkhalle zeigt Christine Brecht zum Abschluss ein paar Schwarz-Weiß-Aufnahmen und man kann in einem alten Brigadebuch blättern. Ein Foto aus dem Jahre 1990 zeigt Arbeiter, wie sie selber Fenster freigelegt haben.

Führungen freitags und sonntags jeweils 14 Uhr. Anmeldung unter www.grenzlaeufte.de oder Telefon 69 53 10 88.

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