Ein Start mit Kratzern
Koalition nicht geschlossen hinter Tillich / FDP behält Extra-Posten
Es war ein Präsent mit Symbolkraft: Einen schwarz-gelben Nussknacker überreichte FDP-Fraktionschef Holger Zastrow gestern an den alten und neuen sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich, nachdem dieser im ersten Anlauf gewählt worden war. Womöglich müssen damit des Öfteren harte Nüsse geknackt werden. Zwar präsentiert sich das schwarz-gelbe Bündnis bisher als Wohlfühl-Koalition. Doch bei der ersten Bewährungsprobe gab es bereits kleinere Kratzer: Tillich erhielt lediglich 69 Stimmen, obwohl von den 128 gestern anwesenden Abgeordneten 71 zum Regierungslager gehören.
Immerhin: Eklats blieben, anders als vor fünf Jahren, gestern in Dresden aus. 2004 hatte Tillich-Vorgänger Georg Milbradt in der ersten Runde die nötige Mehrheit verfehlt; ein NPD-Konkurrent erhielt zweimal Stimmen aus anderen Fraktionen. Gestern boten die Rechten wieder einen Kandidaten auf; Johannes Müller erhielt aber nur die acht Stimmen seiner Fraktionskollegen. Als »Zählkandidat« war auch SPD-Fraktionschef Martin Dulig angetreten. Die Abgeordneten sollten nicht nur die Wahl zwischen Tillich und einem NPD-Mann haben, hieß es zur Begründung – Nein-Stimmen sind in dem Verfahren nicht vorgesehen. Dulig kam auf 15 Stimmen, eine mehr als die SPD Abgeordnete hat. Viele Oppositionsvertreter brachten ihr Missfallen anders zum Ausdruck: Es gab 32 ungültige Stimmzettel.
Mit Tillichs Kür kommt die neue Regierung im Freistaat ans Ruder – heute will der Ministerpräsident sein Kabinett vorstellen. Zwei Posten übernimmt die FDP, wobei das Wirtschaftsressort wider Erwarten nicht vom Landevorsitzenden geführt wird: Zastrow entschied sich am Montag nach langem Zaudern für den Fraktionsvorsitz und die Führung seiner Werbeagentur. Er habe auf sein Herz gehört, gab der 40-Jährige zu Protokoll – und das habe gesagt: »Mach's nicht.«
Das freilich bedeutet nicht, dass die Liberalen nicht auch den Verlockungen von Macht und Posten erliegen würden. Peinliches Zeugnis legten sie davon bei der Besetzung des Präsidiums ab. Das wird, nachdem der CDU-Mann Erich Iltgen nach 20 Jahren in den Ruhestand gegangen ist, vom langjährigen Kultusminister Matthias Rößler geführt, der 82 Stimmen erhielt und damit mindestens von elf Abgeordneten der Opposition gewählt wurde. Als Stellvertreter vorgesehen sind die im Amt erfahrene CDU-Frau Andrea Dombois sowie Horst Wehner, allseits respektierter Sozialpolitiker der Linksfraktion und vierfacher Deutscher Meister im Rollstuhltanz. Zur Wahl sollte gestern nach Redaktionsschluss aber auch der FDP-Mann Andreas Schmalfuß stehen. Früher gab es im Dresdner Parlament nur zwei Stellvertreter. Der zusätzliche dritte Posten wurde 2004 für die damals neue Regierungspartei SPD geschaffen. Der hatte Zastrow deshalb »Postengeschacher« vorgeworfen und gegiftet, man rede vom Sparen, aber bediene sich selbst zuerst. Jetzt wird erneut vom Sparen gesprochen – ein lukrativer Posten samt Dienstwagen jedoch bleibt für den kleinen Koalitionspartner reserviert.
Das Signal wirkte besonders unpassend, nachdem Alterspräsidentin Edith Franke eingangs der konstituierenden Sitzung nachdrücklich an die Vorbildfunktion der Abgeordneten erinnert hatte. Politiker dürften »nicht vergessen, woher sie kommen«, und seien nicht zuvörderst Parteien, sondern »den Menschen verpflichtet«, sagte die 66-jährige Parteilose, die für die LINKE im Landtag sitzt und die Dresdner Tafel leitet. Viele dieser Menschen müssten in äußerst bescheidenen materiellen Verhältnissen leben, sagte Franke, die betonte, eine Gesellschaft zeige ihre Stärke vor allem darin, wie sie mit den Schwachen umgeht. Sie warnte vor »würdelosem Umgang« mit denjenigen, die »am Rande der Gesellschaft leben müssen«, und verwies besonders auf Hartz IV und Kinderarmut, die in Sachsen bereits jedes dritte Kind treffe.
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