Die feuchte Seite des Mondes
Daten von indischer Sonde belegen: Es gibt Wasser auf dem Erdtrabanten
Gleich mehrfach genießt der Mond in diesem Jahr die Aufmerksamkeit: Im Juli jährte sich die Mondlandung der amerikanischen »Apollo-11«-Mission zum 40. Mal, und vor 50 Jahren, am 4. Oktober 1959, startete die sowjetische Sonde »Lunik 3«, die erstmals Fotos von der Rückseite des Erdtrabanten lieferte. Nun beleuchtet eine neue Entdeckung eine andere Seite des Mondes, die sogar die Zukunft des Himmelskörpers maßgeblich beeinflussen könnte. Der galt nämlich jahrzehntelang als trockene, staubige Ödnis. Falls dort überhaupt Wasser existiere, so glaubten Forscher, könne es allenfalls an den Polen tief in jenen Kratern überdauern, in die keine Sonnenstrahlen gelangen. Nun zeigen gleich drei Untersuchungen, dass auf der gesamten Oberfläche des Erdtrabanten ständig Verbindungen von Sauerstoff (O) und Wasserstoff (H) entstehen – als Hydroxyl (HO) und sogar als Wasser (H2O).
Experten werten die im Magazin »Science« (online, DOI: 10.1126/ science.1178658 und science. 1179788) veröffentlichte Entdeckung als kleine Sensation. Die an beiden Studien beteiligte Astronomin Jessica Sunshine von der University von Maryland gesteht sogar, dass sie die Ergebnisse anfangs kaum glauben konnte.
»Bisher galt der Mond als fast vollständig wasserfrei«, erläutert Ralf Jaumann vom Institut für Planetenforschung der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt (DLR). »Die Studien zeigen nun, dass dort überall auf der Oberfläche Wasser in natürlichen Prozessen entsteht.« Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Forscher berichten nicht von Wasser, das über die staubige Oberfläche rieselt oder sich gar in Seen sammelt. Vielmehr geht es um Wassermoleküle, die im Boden gebunden sind, und auch dies nur in bescheidenem Ausmaß: Eine Tonne der obersten Bodenschicht könnte etwa 0,9 Liter Wasser enthalten, glauben die Wissenschaftler. Zum Vergleich: In Erdgestein ist der Wassergehalt mehr als hundert Mal höher.
Vage Indizien für Wasser auf dem Erdtrabanten gab es seit langem. Schon die Apollo-Besatzungen brachten vor rund 40 Jahren reichlich Bodenproben zur Erde mit. Darin wurde zwar Feuchtigkeit nachgewiesen, aber Forscher führten dies auf nachträgliche Verunreinigungen zurück. »Wir lagen falsch«, sagt Larry Taylor von der Universität von Tennessee in Knoxville. »Weil die Behälter undicht waren, glaubten wir, das von uns gefundene Wasser stamme von der Kontamination mit terrestrischer Luft.«
Ein Forscherteam um Taylor und Carle Pieters von der Brown Universität in Rhode Island fand die ersten Anhaltspunkte für den feinen Feuchtigkeitsfilm, der den Mond überzieht. Sie werteten Aufnahmen der indischen Raumsonde »Chandrayaan-1« aus, die Ende letzten Jahres in die Umlaufbahn des Himmelskörpers startete. Mit einer speziellen Software analysierten die Wissenschaftler die Wellenlänge des Sonnenlichts, das von der Mondoberfläche abstrahlt. Diese sogenannte Reflexionsspektrometrie erlaubt Rückschüsse auf die Zusammensetzung der obersten Bodenschicht. Das Lichtspektrum lieferte klare Hinweise auf Verbindungen von Wasserstoff und Sauerstoff als Hydroxyl und Wasser.
Nachträglich analysierte ältere Aufnahmen der Raumsonde »Cassini«, die den Mond vor etwa zehn Jahren passierte, bestätigten dann, dass das Wasser nicht nur an den Polen vorkommt, sondern auch in polferneren Gegenden. Daten der NASA-Mission »Deep Impact« belegten ebenfalls eindeutig die Existenz von Wasserspuren auf dem Himmelskörper.
Aber woher kommt die Feuchtigkeit? Die Wissenschaftler erwägen zwei Möglichkeiten: Zum einen könne sie von außen stammen, etwa von Kometen, die auf der Oberfläche des Mondes einschlagen. Für wahrscheinlicher hält Taylor aber, dass das Nass auf dem Mond selbst entsteht. Denn die Aufnahmen zeigen, dass die Feuchtigkeit auf der Oberfläche im Laufe eines Mondtages – das entspricht rund 30 Erdtagen – mit den extremen Temperaturen schwankt, die etwa zwischen +130 °C und –150 °C pendeln. Die H-O-Verbindungen entstehen bei Kälte und zerfallen dann wieder bei Wärme.
Die Forscher erklären diesen kontinuierlichen Prozess mit den Sonnenwinden, also jenem Strom von positiv geladenen Wasserstoff-Atomen, den die Sonne stetig ausstößt. Während die Erde durch ihre Atmosphäre vor diesen Teilchen geschützt ist, wird der Mond unablässig damit bombardiert. Und die Protonen treffen die Oberfläche des Himmelskörpers mit einer Geschwindigkeit von rund 100 000 Kilometern pro Sekunde. Mit dieser Wucht können sie, so die Vermutung der Forscher, den im Boden gebundenen Sauerstoff lösen, der sich dann offenbar mit dem Wasserstoff zu Wasser oder Hydroxyl verbindet. Diese Prozesse waren bislang völlig unbekannt.
Die neuen Daten könnten Pläne für eine künftige bemannte Mondstation am Südpol des Erdtrabanten stützen. Jaumann hält es durchaus für möglich, Wasser auf dem Mond zu gewinnen, so dass man es nicht aufwendig zu dem Trabanten transportieren müsste. »Man könnte den natürlichen Prozess in irgendeiner Form nutzen und den Vorgang vielleicht sogar beschleunigen«, sagt der Experte.
Die Daten deuten zusätzlich darauf hin, dass sich das Wasser in Polnähe anreichert und möglicherweise auch als Eis in jenen tiefen Kratern sammelt, in die niemals Sonnenstrahlen fallen und in denen Temperaturen von rund –200 °C herrschen. Klarheit erhoffen sich Forscher schon kommende Woche von dem Satelliten LCROSS: Dessen Oberstufe soll sich am 9. Oktober mit einer Geschwindigkeit von über 9000 Kilometern pro Stunde nahe des Südpols in den Krater Cabeus A bohren. Die Analyse der aufgewirbelten Staubwolke könnte weiteren Aufschluss darüber geben, ob im Krater gefrorenes Wasser lagert.
Die Studien erscheinen zu einem politisch kritischen Zeitpunkt. US-Präsident Barack Obama hat die ehrgeizigen Pläne seines Vorgängers George W. Bush, bis zum Jahr 2020 wieder Menschen auf den Mond zu schicken, einstweilen eingefroren. Die Raumfahrtprojekte der NASA werden derzeit einer kritischen Prüfung unterzogen.
Allerdings reicht die Bedeutung der Entdeckung letztlich weit über den Mond hinaus: Der mutmaßliche Prozess der Wasserbildung könnte auf sämtlichen Himmelskörpern des inneren Sonnensystems ablaufen, glauben die Forscher. Voraussetzung: Sie dürfen keine schützende Atmosphäre haben, und ihr Oberflächengestein muss Sauerstoff enthalten.
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