Chronist einer Zeitenwende
Der Gropiusbau zeigt Harald Schmitts Fotos vom »Ende des Staatssozialismus«
Da sind sie, die Situationen und Momente, an die man sich wie von weither erinnert, die man miterlebt hat, als Beteiligter oder »nur« als Zeitgenosse. Harald Schmitt, in der DDR akkreditierter Bildreporter des »Stern« von 1977 bis zu seiner Ausweisung 1983, hat sie akribisch dokumentiert, die Fotos auf der Rückseite säuberlich kommentiert. Nichts hat der in der Eifel Geborene des Jahrgangs 1948 dem Zufall überlassen, aus archivarischem Fleiß oder im Wissen um die Einzigartigkeit seines Werks.
Von den rund 400 000 im Auftrag jenes Magazins geschossenen Bildern sind etwa 120 jetzt im Martin-Gropius-Bau zu besichtigen. »Sekunden, die Geschichte wurden« führen sie beispielhaft vor und sind damit – der zweite Teil im Untertitel – »Fotografien vom Ende des Staatssozialismus«. Die Jahre in der DDR, wohin er zunächst nicht wollte, voll Neugier dann doch ging, bezeichnet er als seine »tollste und schönste Zeit«, weil die Menschen »angenehm, geradeheraus, verbindlich« waren und er seine Ehefrau dort kennengelernt hatte. Das ist die eine Seite. Von der zweiten erzählen die Fotos.
»Der Sozialismus ist die beste Prophylaxe« behauptet ein Plakat vor der Poliklinik in Zwickau, »Das schaffen wir« befeuert ein anderes neben einer Bruchbude von Haus, »Das Beste zum Alltag machen« fordert ein drittes vor den qualmenden Giftschloten in Bitterfeld. Da sind die Militärparade vorm Palast der Republik, verbiesterte Gesichter einer Betriebskampfgruppe zwischen roten Fahnen, die Tristesse des Halberstädter Bahnhofsrestaurants mit Honecker-Bild.
Da sind der Aufmarsch zum 7. Oktober, die DDR-Fahne in einer Auslage inmitten von BHs, trocknende Wäsche im Wohnzimmer, Punks beim »Pankow«-Konzert, FKK in Binz, Nacktbaden auf japanisch im Suhler »Waffenschmied«, Schlangen vorm »Intershop« – Leben in Freud und Leid also, wo immer Schmitt, obwohl stasiobserviert, es aufgespürt hat.
Auch das politische Foto: Honecker reicht Bundeskanzler Schmidt einen Bonbon, wartet auf Waldheim, ist Staatsmann in Afrika; Markus Wolf, das sorgsam geschützte Gesicht, beim Begräbnis des Bruders Konrad. Dann – später – Bürgerprotest, Kirchen als Ort von Friedensforen.
Etwa 110 Länder hat Schmitt bislang bereist, sechs stehen außer der DDR für das zitierte Ende des Staatssozialismus. Auf der Lenin-Werft in Gdansk tragen Arbeiter Walesa auf den Schultern, steht er Hand in Hand mit Anna Walentinowicz, Auslöserin der Solidarnosc-Bewegung. In Prag demonstrieren über 200 000 auf dem Wenzelsplatz gegen Übergriffe der Polizei, ruft ein greiser Kardinal zum Widerstand auf, reißen Dubcek und Havel die Arme hoch, als sie vom Rücktritt des Parteichefs hören.
Riga rüstet sich mit naiven Barrikaden zum Kampf gegen sowjetische Truppen, türmt hinter Lenins Rücken Sandsäcke, richtet Notlazarette ein. Ein Toter wird beigesetzt, russische Truppenführer stellen sich trotzig der Kamera. Als gefallener Revolutionsengel liegt ein bronzener Lenin in Vilnius, gestützt nur von einer Grasnarbe; ein Senior, 37 Jahre Häftling des KGB, löst die Organisation seiner Peiniger auf. Leere 1970 in einem Moskauer Supermarkt, ein Mütterchen weint, weil die Beinprothese nicht passt, Jelzin stellt sich beim Putsch vor Gorbatschow, um ihn dann mit herrischer Geste zu entmachten. In China campieren unzufriedene Studenten auf dem Tien’anmen, fliehen vor der brutalen Soldateska, Panik in den Gesichtern.
Die Ausstellung zeigt Bilder-Ikonen zur Geschichte. Ihre Interpretation unterliegt der Zeit.Bis 13.12., Mi.-Mo. 10-20 Uhr, Eintritt frei, Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, Kreuzberg, Telefon 25 48 60, Infos unter www.gropiusbau.de
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