Modernes Spiel mit tradierter Form
Mit »Schwarz, ohne Zucker« feiert die wee dance company im Tacheles zehnjähriges Bestehen
Zu beiden Seiten sitzen sie schon vor Stückbeginn in dampfiger Atmosphäre, ehe Gebrabbel vom Band und Zuggedröhn sie aus ihrer Ruhe aufstören. Paarweise und als Singles stehen sie dann unter mattem Licht auf der Szene des Tacheles, manche in einer der Grundpositionen des Balletts. Dies Spiel des zeitgenössischen Tanzes mit tradierter Form wird sich oft wiederholen. Während sich die auf der Bühne in Posenwechsel üben, tritt aus dem Saal Dan Pelleg unter sie, kommt in derselben Ballettposition zum Stillstand. Auch ein Sopran wird auf Einzeltöne gebremst. Aus dieser Introduktion entwickeln sich eine Stunde lang Soli und teils synchrone Gruppenaktionen.
In dichter, geschmeidiger Bewegungssprache feiern Pelleg und Marko E. Weigert, die Gründer und Leiter der Berliner wee dance company, mit dieser Uraufführung den zehnten Geburtstag ihrer Gruppe. Bemerkenswert in Zeiten raschen Verfalls ist nicht nur dieses Datum, sondern mehr noch die Kontinuität, mit der die kleine Company ihren Platz als eine der produktivsten Truppen der Stadt zu behaupten weiß, wo arrivierte Spielorte eher Performance und Experiment favorisieren. In zwölf Ländern von Zypern bis Simbabwe konnten die wee dancers ihr Repertoire zeigen, bereisten allein in Deutschland 25 Städte, verbinden die Gastspiele häufig mit Workshops. Qualität setzt sich eben durch.
Das trifft auch auf die Neuproduktion zu. »Schwarz, ohne Zucker« verzichtet auf eine nacherzählbare Story, formuliert, was es mitzuteilen gilt, rein mit Tanz. Immer wieder kommt es zu flüchtigen Begegnungen, in denen Menschen ihre Passfähigkeit erproben: mit einem Vokabular, das die Körper sich weit öffnen lässt, sie aus der Achse lenkt, spiralig verdreht, Impulse weitergibt, temporär verschränkte skulpturale Gebilde erzeugt. Bisweilen strömt die Gruppe wie ein vielgliedriger Corpus durch den Raum. Wie fließend und ruckfrei das geschieht, macht den Genuss ebenso aus wie die permanente Suche nach Zärtlichkeit. Die Umarmungen haben indes wenig Bestand, Machos lassen ihre Partnerinnen gesättigt fallen, finden jedoch auch allein nicht ihr Glück.
Krachend stürzt etwa Florian Bücking in einem langen Solo wieder und wieder zu Boden, bäumt sich auf, bis eine Frau ihm Halt gibt. Dass bei sieben Tänzern – vier Frauen, drei Männer, alle profunde Könner – stets ein Single übrig bleibt, liegt in der Natur der Sache. Dass diese Konstellation jeder Symmetrie vorbeugt, ist der formal positive Aspekt.
Sensible Stimmung haben besonders die Ballungen in eingezogenem Licht, wenn sich die Menschen unverstellt geben. Manchmal siegt der Humor: Kerle lassen Muskeln spielen, Frauen posieren auf schick. Dann jedoch brechen wieder echte Gefühle hervor, macht sich die Sehnsucht nach Geborgenheit in körpereng artistischen Duetten voller Umhebungen und Verschlingungen Luft.
Musik von Lully, Hofkomponist Ludwigs XIV., setzt sich in angedeutete Menuett-Zitate um; auf den Becken langsam rückwärts rollender Männer balancieren schwankend die Frauen. Am Ende läuft ein vielfach intoniertes Schubert-Lied durch, dazu verfremden die Tänzer erneut Ballettformen, heben abwehrend die Hand, spreizen wie beim Messer-Schere-Spiel die Finger. Pechschwarz ist der Tanzboden, zuckrig war das frische Bewegungsmaterial der wee dancers noch nie. Vielleicht erklärt das den Titel.
Wieder 8.-11.10., 21 Uhr, Tacheles, Oranienburger Str. 54-56a, Mitte, Kartentelefon 23 09 93 33, www.wee-dance-company.de
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