Es geschah erneut am helllichten Tag

Jugendliche trieben in Großbritannien Mutter zu Mord und Selbstmord – Behörden haben versagt

  • Gabriel Rath, London
  • Lesedauer: 2 Min.
Spott und Häme von benachbarten Jugendlichen haben in Großbritannien eine Mutter und ihre geistig behinderte Tochter in den Tod getrieben. Zwei Jahre ist das nun her. Und erst jetzt dringt das Versagen der Behörden dabei an die Öffentlichkeit.

Eine Häuserzeile wie Tausende andere in England. Geräumige Reihenhäuser aus den 30er Jahren, gepflegte Vorgärten, auf der Straße der eine oder andere BMW. Die Bardon Road in der Gemeinde Barwell in der Grafschaft Leicestershire könnte unauffälliger nicht sein. Und doch spricht auf einmal das ganze Land von dieser Straße: Denn hier lebten Fiona Pilkington und ihre behinderte Tochter Francecca, die im Oktober 2007 eines grauenvollen Todes starben. Zermürbt durch jahrelange Drohungen, Beleidigungen, Verfolgungen und Verhöhnungen von vier benachbarten Jugendlichen zündete Pilkington ihre Tochter und sich in ihrem Auto an. Beide verbrannten.

Der Schock ereilte Großbritannien aber erst jetzt. Was damals eine kleine Meldung war, macht dank der Gerichtsuntersuchung nun Schlagzeilen. Festgestellt hat das Gericht nämlich ein völliges Versagen der Behörden: Weder Polizei noch Sozial- oder Jugendamt kamen Pilkington zu Hilfe. Monate vor ihrem Tod sagte sie: »Ich kann nicht mehr. Ich gebe auf.«

Dabei hätte man wissen können, dass die alleinerziehende Mutter Hilfe gebraucht hätte. Nicht nur ihrer Tochter Francecca, auch ihrem Sohn wurden Lernschwierigkeiten diagnostiziert, auch sie selbst war nicht in der Lage, einen Beruf auszuüben. Vom Vater ihrer Kinder trennte sie sich vor neun Jahren, er besuchte aber die Kinder weiterhin regelmäßig. »Wenn irgendwer unsere Hilfe gebraucht hätte, dann sie«, heißt es heute unter Nachbarn. Die Reue kommt zu spät. Stattdessen sah man zu, wie die vier Nachbarskinder – heute zwischen 12 und 20 Jahre alt – den Pilkingtons das Leben zur Hölle machten. Es begann mit Spott und endete mit eingeschlagenen Fenstern. Dass sie damit ohnehin zutiefst verängstigte Menschen wahrem Terror aussetzten, wollen sie bis heute nicht wahrhaben. In einem Zeitungsinterview sagt einer von ihnen: »Kürzlich hab ich ihren Sohn gesehen, er war ganz freundlich. So schlimm kann es wohl nicht gewesen sein.« Und die Erklärung eines zweiten: »Ich habe damit nichts zu tun, ich saß zum Zeitpunkt des Selbstmords im Gefängnis.«

Nach dem Versagen der Behörden geht nun ein Aufschrei durchs Land. Innenminister Alan Johnson spricht von »sehr, sehr harten Schritten, die uns bevorstehen«. Zwar hat die britische Regierung schon 1998 härtere Maßnahmen gegen asoziales Verhalten eingeführt – doch oft bleiben diese wirkungslos oder werden nicht in Anspruch genommen. Johnson kritisierte denn auch, es gebe »keinerlei Entschuldigung«, wenn die Behörden ihre Rechte nicht wahrnehmen. Premier Gordon Brown versprach hartes Vorgehen gegen jede Art von asozialem Verhalten. Schon allein, um den Konservativen nicht das Thema zu überlassen, die seit Jahren von der »kaputten Gesellschaft« Großbritanniens sprechen.

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