Wenn der Henker 18 Mal zusticht
Debatte um Todesstrafe in USA neu entbrannt
Zwei Stunden lang suchten Gefängniswärter in Ohio vergeblich nach einer geeigneten Vene für die Giftinjektion. Der zum Tode Verurteilte überlebte – bisher. Jetzt ist die Debatte um die Todesstrafe in den USA wieder voll entbrannt.
Seit 25 Jahren sitzt Romell Broom im Gefängnis. 1984 hat er in Cleveland (Ohio) ein junges Mädchen entführt, vergewaltigt und getötet. Dafür wurde er zum Tode verurteilt. Man hat jetzt auch versucht, ihn mit einer Todesspritze hinzurichten. Vergeblich, denn zwei Stunden suchten die Gefängnisbeamten ohne Erfolg nach einer geeigneten Vene bei dem inzwischen 53-jährigen Afroamerikaner. Die Wärter im Hochsicherheitsgefängnis von Lucasville berichteten, Broom sei »ruhig gewesen, kooperativ und bereit, hinzunehmen, was mit ihm geschehen würde«. Doch trotz dieser »optimalen« Bedingungen stachen die Beamten Broom 18 Mal vergeblich in den Arm. Dann gaben sie auf. Der Exekutionstermin wurde auf unbestimmte Zeit verschoben.
Booms Fall hat die Diskussion um die Todesstrafe und insbesondere die Hinrichtung per Giftspritze in den USA neu belebt. Ohios Gouverneur Ted Strickland setzte zunächst alle Hinrichtungen aus. Zwei waren diese Woche geplant. In einem Fall folgte er damit der Entscheidung eines Bundesgerichts, das die Exekution des 43-jährigen Lawrence Reynolds verschoben hat. Begründung: der Pfusch im Fall Broom. In den Gefängnissen von Ohio sitzen noch drei weitere Verurteilte in Todeszellen, die in diesem oder im kommenden Jahr hingerichtet werden sollen. Und Ohios Justizminister Richard Cordray, Demokrat wie der Gouverneur, ist ganz und gar gegen Verzögerungen, nur »weil etwas passieren könnte«.
Gouverneur Strickland stellt keinesfalls die Todesstrafe in Frage. Auch nicht das Töten mit der Giftinjektion. Doch habe die Gefängnisabteilung »daran gearbeitet, eine Reservemaßnahme oder ein alternatives Vorgehen zu finden«, heißt es in der Anordnung des Gouverneurs. »Obwohl in dieser Hinsicht wesentliche Fortschritte gemacht worden sind, ist weitere Suche und Bewertung von Reserve- oder Alternativverfahren notwendig.« Das kann dauern. Im Fall Broom mindestens bis zum 30. November. Das hat ein anderes Bundesgericht in Columbus (Ohio) schon angeordnet. Dann werden die Anwälte Brooms vor Gericht gehört. Sie argumentieren, dass niemand zwei Mal hingerichtet werden darf. Ihr Mandant war der erste Todeskandidat seit 1946, der praktisch seine eigene Exekution überlebt hat.
Die größte Tageszeitung von Ohio, der »Cleveland Plain Dealer«, verurteilte die Todesstrafe im Bundesstaat und das Vorgehen im Fall Broom jetzt als »unerträglich«. In den USA sind in diesem Jahr 39 Menschen hingerichtet worden, wie das Todesstrafen-Informationszentrum in Washington berichtet. Es ist fraglich, ob die Behörden jetzt alle Hinrichtungen wegen Broom aussetzen werden. Der Oberste Gerichtshof der USA hat die Todesstrafe wiederholt für verfassungsgemäß erklärt und erst im vergangenen Jahr eine Klage verworfen, die Todesspitze als »grausam und ungeeignete Strafe« zu verbieten.
Dennoch hoffen die Gegner der Todesstrafe, dass die Regierungen in den Bundesstaaten und in Washington wenigstens die Anwendung der Giftinjektion verbieten könnten. Mehr als 1000 Menschen sind schon damit getötet worden, immer wieder hat es dabei Horror-Geschichten gegeben. So wurde 2006 in Florida dem Verurteilten Angel Diaz das Gift in den Muskel, statt in die Vene gespritzt was zu einem grausamen halbstündigen Todeskampf führte. Weil sich Ärzte regelmäßig weigern, die letale Injektion zu verabreichen, werden die Spritzen häufig von Gefängnisbeamten gesetzt.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.