Der Kater danach

Die Berlinische Galerie zeigt »Kunst zwischen Spurensuche und Utopie« in der Wendezeit

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.
Denkmal der Umbenennungswut nach '89: Vincent Trasovs »Straßenbild« (Detail) von 1991-1993
Denkmal der Umbenennungswut nach '89: Vincent Trasovs »Straßenbild« (Detail) von 1991-1993

Das zwanzigjährige Jubiläum des Falls der Mauer rückt näher. Immer mehr Veranstaltungen widmen sich diesem Ereignis. Und immer deutlicher tritt die Diskrepanz zwischen der ausgestellten und beschworenen Überdrehtheit der damaligen Ereignisse und der erschöpften Mattheit, mit der sie heute betrachtet werden, zutage.

War '89 ein wildes Fest, so herrscht jetzt Katerstimmung. Die Ausstellung »Berlin 89/09. Kunst zwischen Spurensuche und Utopie« in der Berlinischen Galerie wirft einen sanften Blick auf die verflossenen 20 Jahre. Behutsam wird noch einmal in die Hand genommen, was nicht mehr da ist. Künstler, oft als Agenten des Neuen unterwegs, haben in Zeiten schnellen Wandels auch eine bewahrende Funktion. So kann man etwa durch die Linse von Frank Thiel noch einmal in die Gesichter von Angehörigen des Wachregiments Feliks Dzierzynski schauen. Sanft fährt das Licht über sie und lässt die Konturen verschwimmen.

Ihnen gegenüber hat Vincent Trasov eine Galerie aus alten und neuen Straßennamen errichtet, die die Erinnerung an den Umbenennungssturm, der durch die Straßen des Ostteils dieser Stadt fegte, wach ruft. Doug Hall wiederum stahl sich mit seiner Kamera in die schon verlassenen einstigen Repräsentationsbauten der DDR. Die zwischen kleinbürgerlicher Muffigkeit und funktionaler Strenge der 70er Jahre in seltsamem Schwebezustand befindlichen Foyers von Staatsrats- und ZK-Gebäude, Außenministerium und Palast der Republik legen Zeugnis ab von vergangenem Interieur.

Dass dies heute noch für manchen schrägen Reiz sorgen kann, beweist eine Installation von Fred Rubin. Aus den runden Deckenleuchten des Empfangsgebäudes des einstigen Amts für Atomsicherheit und Strahlenschutz baut er eine blinkende und leuchtende Großskulptur in die Ausstellungshalle.

Das Werden und Vergehen im Stadtraum fangen am prägnantesten die Langzeitbelichtungen von Michael Wesely ein. Vorbeifahrende Autos sind wegen der monatelangen Belichtungszeit nur minimale Lichtpunkte. Passanten verlieren sich im Farbrauschen. Temporäre Baustelleneinrichtungen werden zu geisterhaften Erscheinungen. Bestand haben lediglich die Häuser. Doch auch hier führt der Abbau-Prozess – wie etwa beim Palast der Republik – zur Durchlässigkeit der Fassade.

Wenn in der Ausstellung nicht auch John Armleders Installation »Lido« mit Barhockern vom Kurfürstendamm und Susanne Kriemanns Projekt zum 12 650 000 Kilo schweren Schwerbelastungskörper in Tempelhof enthalten wären – man müsste vermuten, die vergangenen 20 Jahre hätten nur in Ost-Berlin stattgefunden.

Dieses Manko der Ausstellung liegt darin begründet, dass auch Künstler als Meute agieren. Der versinkende Osten war Mode. Aus dem beschaulichen Grundgestus der Schau stechen nur zwei Videos und eine Fotoarbeit heraus. Ulf Aminde ließ 2002 Friedrichshainer Punks und deren Hunde vor laufender Kamera die »Reise nach Jerusalem« spielen. Plastikstühle fliegen durch die Luft, Hunde umkreisen in entgegengesetzter Richtung Menschen und Stühle und zuweilen kulminiert das Geschehen in einem bellenden, kreischenden Tohuwabohu. So wild, ungestüm und chaotisch war Berlin eben auch.

Björn Melhus bietet mit Aufnahmen einer US-Tanzgruppe auf dem Alexanderplatz zum Tag der Währungsunion das bieder-dumpfe Kontrastprogramm zu den im Vergleich entfesselten Punks.

Und Sarah Schönfeld, beim Mauerfall gerade einmal zehn Jahre alt, findet einen bissig-humorvollen Kommentar zu der seither vollzogenen Entwicklung. Sie ist mit ihrer Kamera in ihren einstigen Kindergarten gegangen. Der ist schon längst verlassen, zerstört und voller Müll. Mitten in diesem Dreck platziert sie Fotos aus ihrer Kindheit. Mit dickem Farbstift notiert sie: »Mama du Sau«. An die Stelle der Kindheitsidylle ist ein vandalisierter Ort getreten. Und wenn kein anderer Schuldiger für diesen Verlust greifbar ist, dann wird eben die einst omnipotente Mutter-Instanz verantwortlich gemacht.

Schönfeld, eine der begabtesten Fotokünstlerinnen der jüngeren Generation, dokumentiert nicht nur. Sie hält der infantilisierten Nachwendegesellschaft den Spiegel vor. Eine lohnende Arbeit in einer lohnenden Ausstellung.

Berlin 89/09, Berlinische Galerie, Alte Jakob-Straße 124-128, bis 31.1. 2010, Mi.-Mo. 10-18 Uhr, www.berlinischegalerie.de

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