Ein Gangster bat zur Kasse

Prozess um Untergang und Ausplünderung des einstigen VEB Wärmeanlagenbau Berlin

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist der Stoff für einen Krimi, der so wunderbar in diese Freudentaumelzeit des Mauerfalljubiläums passt. Er handelt von einem kleinen Prokuristen eines großen Unternehmens, von Schwindelzahlen und Traumgewinnen, von verantwortungslos ahnungslosen Beamten und gerissenen Betrügern. Und von der Treuhand. Das war jenes Staatsunternehmen, das nach dem deutsch-deutschen Zusammenschluss den Auftrag hatte, DDR-Betriebe auf dem Jahrmarkt des Profits zu verscherbeln.

Seit gestern steht eine Schlüsselfigur der Vereinigungskriminalität vor Gericht, der heute 66-jährige Michael R. Angeklagt ist er für gigantische Gaunerei – die Zerschlagung und Ausplünderung des einstigen VEB Wärmeanlagenbau Berlin »Deutsch-Sowjetische Freundschaft«. Flucht, Verhaftung, Auslieferung aus Großbritannien nach Deutschland und nun das späte Tribunal. Ein rundlicher älterer Herr, tadellos gekleidet, umgeben von seinen drei Anwälten. Reden will er vorerst nicht, weil er nicht in der Lage war, sich auf die Anklagevorwürfe vorzubereiten, sagen die Verteidiger. Über 10 000 Seiten soll R. in seinen Computer gespeichert haben. Das Gerät durfte er nicht mit ins Gefängnis nehmen, es wurde von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Somit sieht sich Herr Michael schutzlos der Anklage ausgeliefert.

Einst war er ein braver, unternehmenstreuer Prokurist der Deutschen Babcock AG, ein inzwischen untergegangenes Großunternehmen für Kraftwerksanlagenbau der alten Bundesrepublik, das etwas abbekommen wollte vom süßen VEB-Kuchen. Aus VEB wurde GmbH unter Hoheit der Treuhand mit einem im Handelsregister eingetragenen Stammkapital von vier Millionen Mark. Schon hier hätten die Warnlampen bei der treuen Hand aufleuchten müssen. Wie kamen die West-Verwalter von DDR-Vermögen auf diese finanzielle Unterzuckerung? Das Unternehmen verfügte über lukrative Immobilien, ein Barvermögen von 153 Millionen Mark sowie offene Rechnungen über 700 Millionen Mark.

R. prüfte für Babcock das Angebot der Treuhand, den einstigen führenden DDR-Kraftwerksanlagenbauer aufzukaufen. Er kam zu dem Ergebnis, dass der VEB ein marodes, heruntergewirtschaftetes Unternehmen sei. Babcock zog die Finger vom Geschäft, nicht aber ihr Prokurist. Der erkannte in dem Großbetrieb mit 1225 Mitarbeitern eine Goldgrube, die es nun auszuschlachten gelte.

Zusammen mit anderen, bereits Verurteilten, entwickelte R. den Plan, wie der Großbetrieb auszunehmen sei, wie eine Weihnachtsgans. Sie suchten sich für ihren Coup eine hoch verschuldete schweizerische Aktiengesellschaft, erwarben sie zum Nulltarif und gaben sich als Interessenten für Wärmeanlagenbau GmbH aus. Der Prokurist kannte die Spielregeln. Für zwei Millionen Mark erhielt die Schweizer Nullnummer den Zuschlag. Niemand prüfte den tatsächlichen Wert des einstigen DDR-Betriebes, niemand überprüfte das Schweizer Spiel. Alles ging seinen kapitalistischen Gang. Sie gründeten Briefkastenfirmen, kauften, verkauften und schoben die Millionen kreuz und quer. Anstelle des versprochenen Erhaltes der Arbeitsplätze und kräftiger Investitionen kam die Pleite. Die Mitarbeiter flogen auf die Straße. Allein 50 Millionen Westmark soll R. für sich beiseite geschafft haben.

Ehemalige Kollegen wollten gestern dem Mann in die Augen sehen, der sie um ihren Arbeitsplatz gebracht hat. Sie erzählten am Rande des ersten Prozesstages, wie sich R. im Obergeschoss des Bürogebäudes einrichtete, mit Luxus und Swimmingpool, wie er selbstherrlich wie ein Zar mit den Mitarbeitern umsprang. Sie hoffen auf gerechte Bestrafung, der einstige Boss hoffte auf Verjährung.

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