Werbung

Neuanfang von Türkei und Armenien

Unterzeichnung des Protokolls in Zürich soll Verhältnis beider Staaten normalisieren

  • Jan Keetman, Istanbul
  • Lesedauer: 3 Min.
Bereits einen Tag nach Unterzeichnung des Abkommens, das die Beziehungen zwischen Türkei und Armenien normalisieren soll, stellte der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan neue Bedingungen. Eine Öffnung der Grenze zu Armenien, die im Vertrag vorgesehen ist, sei an Fortschritte bei einer Lösung des Konflikts um die Kaukasusenklave Berg-Karabach geknüpft, sagte Erdogan am Sonntag.

Es war ein steiniger Weg bis zur historischen Unterschrift von Zürich unter ein Protokoll, das unter anderem die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Türkei und Armenien vorsieht. Stundenlang verzögerte sich die Unterschrift unter das mit Schweizer Vermittlung zustande gekommene Papier. Der Grund war, dass beide Seiten Erklärungen zu Dingen abgeben wollten, die nicht im Protokoll stehen. Schließlich einigte man sich auf eine stumme Unterschrift, ohne Erklärungen der Türkei zum Karabach-Konflikt und ohne Erklärungen Armeniens zum Völkermord an den Armeniern.

Die Unterschriften durch den armenischen Außenminister Eduard Nalbandian und seinen türkischen Kollegen Ahmet Davutoglu haben weltpolitische Bedeutung. Es ist ein Schritt zur Stabilität der Kaukasus-Region und damit auch zur Stabilität der Energieversorgungsrouten durch dieses Gebiet. Nicht zuletzt ist der Kaukasus eine Region, in der russische und US-amerikanische Interessen aufeinanderprallen können. Je unruhiger der Kaukasus ist, desto größer ist die Gefahr, dass diese beiden Mächte aufeinanderstoßen, was Auswirkungen auf die gesamte Weltpolitik hätte. Die Anwesenheit von US-Außenministerin Hillary Clinton und ihres russischen Pendants Sergej Lawrow bei der Unterzeichnung unterstrich die politische Bedeutung des Aktes.

Doch was bei der Feier nicht gesagt wurde, steht trotzdem im Raum, wenn es zur Ratifizierung durch die Parlamente der beiden Staaten kommt. Der türkische Ministerpräsident Erdogan unterstrich bei einem Gespräch mit Journalisten in Istanbul am Wochenende noch einmal, dass die Türkei das Protokoll nicht ratifizieren werde, solange Armenien einen Teil des Territoriums Aserbaidshans rund um die Enklave Berg-Karabach besetzt halte.

Der Vizevorsitzende der kemalistischen Republikanischen Volkspartei, Onur Öymen, nannte die Unterschrift einen »Schritt zurück«, weil die Besetzung aserbaidshanischen Territoriums bleibe. Der Chef der ultranationalistischen MHP, Devlet Bahceli, sprach gar von einem »schwarzen Tag«. Nicht anders sieht es die Opposition auf armenischer Seite. Am Sonnabend demonstrierten Tausende in der Hauptstadt Jerewan gegen das Abkommen. Der Abgeordnete Vahan Hovanissyan von der nationalistischen Oppositionspartei Dashnaktsutyun erklärte, die Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern im Ersten Weltkrieg werde durch das Protokoll verhindert.

Tatsächlich kann sich die türkische Seite nun erst einmal zurücklehnen. Die Gefahr, dass der US-Kongress den Völkermord an den Armeniern anerkennt, dieses Damoklesschwert über der türkischen Außenpolitik ist vielleicht auf immer gebannt. Da in dem Protokoll die Einrichtung einer internationalen Historikerkommission zu den Ereignissen von 1915 vorgesehen ist, kann die Türkei mit Hinweis auf die Arbeit des Gremiums alle Schritte abblocken. Dies gilt selbst, wenn sich die Ratifizierung und damit die tatsächliche Einrichtung der Kommission noch hinauszögern sollte. Auch Verurteilungen von türkischen Völkermordleugnern in der Schweiz dürfte es nun nicht mehr geben.

Während die Türkei einen Teil der politischen Früchte aus der Unterschrift sofort ernten kann, ist Armenien für den Punkt, der das Land vor allem interessiert, nämlich die Öffnung der türkischen Grenze, auf die Ratifizierung des Protokolls durch beide Parlamente angewiesen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.