Deutschlands Neun-Millimeter-Begrüßung in Afghanistan

Die P-1-Story: Rüstungsexporte richten sich bisweilen auch gegen den Absender der Waffen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Walther-P1 ist fast 50 Jahre alt, aber noch in tadellosem Zustand und offensichtlich kaum benutzt. 1600 Dollar verlangt der Händler – eine stolze Summe. Doch deutsche Waffen gelten in der Region als Prestigeobjekte. Das angebotene Exemplar trägt Markierungen der Bundeswehr, stammt aus offiziellen Beständen.

So beginnt eine Reportage des NDR aus dem Norden der afghanischen Hauptstadt Kabul. 1600 Dollar – der Preis scheint ein wenig überteuert. Schließlich bekommt man eine P-38, wie die P-1 noch hieß, als sie am Koppel von Wehrmacht- und SS-Offizieren durch die zeitweise eroberte Welt getragen wurde, hierzulande schon für knapp 300 Euro. Freilich nur, wenn man eine »Erwerbsberechtigung« nachweisen kann.

Die ist in Afghanistan nicht notwendig, dennoch: Gerade in Krisen- und Kriegsgebieten hat Qualität ihren Preis. Die P-38/P-1 schoss vor Moskau so exakt wie in Afrikas Wüsten. Eigentlich könnte die Firma Carl Walther GmbH in Ulm und Arnsberg aus der Geschichte – ergänzt um Afghanistan – einen Werbefilm basteln. Wenn er nicht moralisch so ekelhaft wäre.

Die Waffen, um die es geht, waren vor rund vier Jahren nach Afghanistan geliefert worden. Und zwar vom deutschen Verteidigungsministerium. Damals schenkte man der im Aufbau befindlichen afghanischen Armee und der Polizei 10 000 bei der Bundeswehr ausgemusterte Walther-P1. Warum, wo es doch in Afghanistan mehr Waffen als Kinder gibt? Die Antwort ist simpel. Die deutsche Armee rüstete auf einen anderen Typ um und Verschrotten hätte Geld gekostet.

Über den weiteren Verbleib der Pistolen wisse man nichts, erklärte das Bundesverteidigungsministerium. Eine für die Kontrolle der Waffen zuständige US-Einheit räumte gegenüber NDR Info ein, nicht einmal für die Hälfte der Pistolen detaillierte Aufzeichnungen zu haben. Dass die Verbündeten es nicht so genau nehmen mit dem Nachweis und dass sie deshalb vom US-Rechnungshof bereits mehrmals »angezählt« wurden, wussten die deutschen Verkäufer.

Und auch, dass die Fluktuation unter den afghanischen Polizisten hoch ist. Jeder Dritte ist ein »unsicher Kandidat«. Um ihre Familien durchzubringen, verscherbeln die »Deserteure« oder »Überläufer« alles, was Geld bringt. Auch Ex-Bundeswehrwaffen.

»Die dann auch gegen unsere Kollegen eingesetzt werden!« Jörg Radek, Mitglied im Bundesvorstand der Gewerkschaft der Polizei (GdP) und Afghanistan-Experte, kritisiert generell, dass sich niemand dafür interessiert, wie wirkungsvoll die Polizeiausbildung in Afghanistan ist. Stattdessen verlange die EU immer mehr Ausbilder. Nach einem internen EU-Papier arbeiten vor Ort derzeit 270 EUPOL-Experten. Allerdings nur in 15 der 34 Provinzen. Die restlichen sind Kriegsgebiet, wo Polizisten keine Chance haben. Auch wenn man die Missionsstärke auf 400 erhöht – wirksamer wird der europäische Beitrag zur zivilen Konfliktbereinigung dadurch nicht.

Was die Polizisten auf jeden Fall vermeiden wollen, ist, in den Geruch einer Besatzungsmacht zu kommen. Doch genau das erwarten viele NATO-Militärs, die dort auch mit dem Rücken zur Wand kämpfen. Immer öfter wird die Idee zusätzlicher EU-Gendarmerie-Einheiten propagiert. »Wenn Frankreich und Italien diesen militärischen Weg gehen wollen, sollen sie das tun«, meint Konrad Freiberg, Chef der GdP. »Wir können das nicht und wollen das nicht«, sagt er und bedauert, dass die EU offenbar noch immer keine gemeinsame Idee entwickelt hat, wie man unter den Bürgerkriegsbedingungen in Afghanistan zivilrechtliche Polizeiarbeit gestalten kann.

Die Gedanken, die sich die GdP-Verantwortlichen machen, wären im Bundestag besser aufgehoben, beklagen Polizisten, die oft frustriert aus dem Afghanistan-Einsatz zurückgekehrt sind. Während man Soldaten nur mit Mandat »ins Feld« schickt, werden »Schutzmänner« nach wie vor – wenn auch mit persönlicher Zustimmung – ohne Abgeordnetenmandat verliehen. Um dann möglicherweise am Hindukusch vor der Neun-Milllimeter-Mündung einer deutschen P-1 zu stehen.

Winfried Nachtwei, noch verteidigungspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen und bislang d e r Afghanistanspezialist im Bundestag, ist über die Sorglosigkeit der Waffenlieferungen empört. »Es ist eine grob fahrlässige Vorgehensweise, weil es gerade bei Lieferungen in instabile Länder mit wenig Rechtsstaatlichkeit blauäugig ist bis dorthinaus, einfach nur auf Papieren und Dokumenten zu bestehen.«

P-1-Pistolen gehörten übrigens auch viele Jahre zur Ausrüstung der deutschen Bereitschaftspolizeien. Der Bundesgrenzschutz lief damit am innerdeutschen Zaun Streife, um den Warschauer Pakt abzuschrecken. Inzwischen gibt es den Zaun nicht mehr und die Waffen sind durch modernere Schießgeräte ersetzt worden. Weder Radek noch Freiberg können ausschließen, dass ehemalige Polizeiwaffen in die Hände derer geraten sind, die sie gegen deutsche Polizisten anwenden. «Kein Zweifel, verschrotten wäre die bessere Variante gewesen«, sagt Freiberg.

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