- Brandenburg
- Brandenburg
Waschen, schneiden, leben können
In Brandenburg ist ein Mindestlohn in Sicht – jedoch zunächst nur bei Aufträgen vom Staat
25 000 Menschen kommen in Brandenburg trotz Vollzeitjob nicht mit ihrem Lohn aus. Bislang hat die CDU die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes im Land blockiert. Mit der rot-roten Regierung in Potsdam hat sich die Lage verändert.
»Wie wünschen Sie es?«, fragt der Friseur den Kunden, der gerade vor dem Spiegel Platz genommen hat. »Eigentlich habe ich gar keine Frisur und das darf auch so bleiben. Nur ein bisschen kürzer möchte ich es«, antwortet der Wuschelkopf. Der Friseur grinst. »Wem Haare wachsen, der hat auch eine Frisur«, versichert er freundlich. Das gefalle ihm an dem Beruf sehr. Jeder habe einen anderen Geschmack, kein Schnitt sei wie der andere.
Und was gefällt dem jungen Gesellen nicht? Wie sieht es mit der Bezahlung aus? Die soll doch ganz schlecht sein bei Friseuren. Manche verdienen in der Stunde weniger als drei Euro, heißt es. »Bloß drei Euro?« Das kann sich der Friseur kaum vorstellen. Er sei schon bei verschiedenen Arbeitgebern gewesen, aber so wenig habe keiner gezahlt. Was er tatsächlich erhält, möchte der ledige Mann nicht sagen. Offenbar langt es aber nicht aus, denn er bezieht zusätzlich noch staatliche Unterstützung.
Dass Menschen trotz Vollzeitjob nicht mit ihrem Lohn auskommen, ist in Brandenburg kein Einzelfall. Zirka 25 000 Betroffene gibt es in Brandenburg. Allein in Potsdam sind es mehr als 1200. Für die Niedriglohnempfänger in der Landeshauptstadt müsse der Staat insgesamt 650 000 Euro pro Monat zuschießen, erläuterte der Vorsitzende der DGB-Region Mark Brandenburg, Detlef Baer, der bei der Landtagswahl am 27. September für die SPD ins Parlament einzog.
Den Ausweg sehen Sozialdemokraten und Sozialisten in einem gesetzlichen Mindestlohn. Auf Bundesebene können sie das nicht durchsetzen. Da fehlt ihnen die notwendige Mehrheit dafür. Doch rot-rote Landesregierungen könnten wenigstens beschließen, dass die Vergabe öffentlicher Aufträge an die Bedingung der Zahlung von Mindestlöhnen gekoppelt ist. Der rot-rote Berliner Senat brachte bereits ein entsprechendes Gesetz auf den Weg. Brandenburg könnte jetzt nachziehen. Die Angelegenheit ist auf dem besten Wege, nachdem die SPD am Montag entschied, Koalitionsverhandlungen mit der Linkspartei aufzunehmen.
Beide Seiten hatten die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns bei öffentlichen Aufträgen im jüngsten Wahlkampf immer wieder versprochen. Zwar müsste der Staat sicherlich für die Erledigung von Aufträgen mehr berappen. Andererseits spart er jedoch die Sozialleistungen, mit denen er bislang die Niedriglöhne indirekt subventioniert, erinnern Experten.
Bisher sperrte sich innerhalb der Regierung Matthias Platzeck die CDU. »Eine Partei, die in Zeiten der Wirtschaftskrise Mindestlöhne ablehnt, ist keine Volkspartei mehr«, rügte deshalb Doro Zinke, Vizevorsitzende des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg. Das Linkspartei-nahe Kommunalpolitische Forum organisiert für den 24. Oktober, 10 bis 14.30 Uhr, eine Veranstaltung zum »Landesvergabegesetz« im Landtag auf dem Potsdamer Brauhausberg (Raum 137). Erwartet werden Linksfraktionschefin Kerstin Kaiser, Uwe Richter als Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft »Linke UnternehmerInnen« und Robert Gadegast von OWUS, dem LINKE-nahen Wirtschaftsverband.
OWUS sprach sich bereits in einem Brief an Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) für Mindestlöhne aus. Allerdings müsse es in einer Übergangszeit für kleine Betriebe »flankierende Maßnahmen« geben, erläuterte Renate Vehlow. Die Geschäftsführerin des regionalen OWUS sagte, es könnten zum Beispiel Fördermittel fließen, um die Belastung für die abzufedern. Dass Unternehmer für Mindestlöhne plädieren, überrascht auf den ersten Blick. Aber das tun längst nicht nur jene Arbeitgeber, die sich in der Linkspartei organisiert haben oder ihr sichtbar nahe stehen. Die Fachgemeinschaft Bau beispielsweise – sie zählt 900 Mitgliedsfirmen in Berlin und Brandenburg – glaubt, dass sich mit dem angepeilten Vergabegesetz die Schwarzarbeit bekämpfen lasse. Hauptgeschäftsführer Burkhard Wenkel begrüßte ausdrücklich die Überlegung, öffentliche Aufträgen an Mindestlöhne zu koppeln.
Von vielen Agrarbetrieben hörte die Bundestagsabgeordnete Kirsten Tackmann (LINKE) zuletzt den Ruf nach einem Mindestlohn. Es werde zwar schwer werden, den zu zahlen, doch anders finde man ja in den ländlichen Regionen Brandenburg keine Leute mehr – und durch eine gesetzliche Regelung sei wenigstens die Konkurrenz gezwungen, ihre Beschäftigten auch anständig zu entlohnen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.