Die Schöne ist angekommen
Das Neue Museum – wiedereröffnet in kongenialen Räumen und glanzvoll bestückt
Es sind die Schrunden, die anrühren. Die abgeplatzten Farbpigmente im »Nordkuppelsaal«, dem neuen Domizil der Nofretete im angestammten Haus. Die nur wenig retuschierten Schmutzschleier im »Modernen Saal«, die fragmentarischen Wandbilder im »Römischen Saal«. Im Gegensatz dazu leuchten die sorgsam ornamentierten Terrazzoböden mit ihren bezirzenden Mosaiken im »Mittelalterlichen Saal« – wie auch in den meisten anderen Räumen. Kein Besucher des Neuen Museums wird sich ihm entziehen können: diesem Schwebezustand aus Streben nach künstlerischer und architektonischer Perfektion einerseits und unverhohlenem Bekenntnis zur Vergänglichkeit alles Schönen, das sich in abgeschlagenen Nasen oder Armen mancher Skulpturen ebenso ausdrückt wie etwa im gänzlichen Fehlen der historischen Südkuppel, die bei den Sicherungsarbeiten in den 80er Jahren gesprengt wurde. David Chipperfield hat diesen Saal aber gänzlich neu formuliert als Rohziegelbau, der stufenlos, aber spannungsvoll vom Raumquadrat zur kreisförmigen Opaion (Kuppelauge) überleitet.
Auch von außen bleibt die verarztete Wunde überdeutlich ablesbar. »Wir wollen dem Publikum keine heile Welt vorgaukeln«, betont Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Selbst die vorgeblich makellos schöne Nofretete weist tatsächlich kleine Ringe unter ihren mandelförmigen Augen auf, ebenso wie hinabfallende Mundwinkel und leicht eingefallene Wangen, welche aber gerade deshalb ihren Liebreiz unterstreichen.
Chipperfields kühne Treppe hat nicht nur die erzkonservative »Gesellschaft Historisches Berlin« echauffiert, die auf die »unverfälschte Wiederherstellung« des gesamten Museums gedrungen hat. Historisierung oder Neubau? Für den britischen Architekten stellte sich die Frage anders: »Wir wollten die Schäden abmildern. Nicht etwas Neues bauen, sondern uns liebevoll des noch Vorhandenen annehmen und davon ausgehend ein Restaurierungskonzept entwickeln, das den Geist des Hauses wiedererstehen lässt.« Ohne Zweifel ist Chipperfield seinem hohen Anspruch gerecht geworden. Nicht umsonst wurde ihm jüngst der Preis des Bundes deutscher Architekten (BDA) verliehen. August Stülers vor 150 Jahren vollendetes »Neues Museum« ist in einem Hegelschen Sinne »aufgehoben« worden, mithin mutiert zu einem völlig anderen, modernen Gebäude, das die Handschrift von Schinkels Schüler wie des Gegenwartsarchitekten trägt.
Wie es Schievelbeins Fries erzählt
Wenn nun nach siebzig Jahren August Stülers Neues Museum erstmals wieder seine Pforten öffnet, ist der Besucher geradezu gezwungen, sich mit der Historie des Hauses auseinanderzusetzen, mit den Spuren, welche die Bomben und Geschütze des Zweiten Weltkrieges und später die der Ruine arg zusetzende Witterung und Verwahrlosung hinterlassen haben. Die Exponate erhalten so eine überaus produktive Konkurrenz durch den Blick auf die Inszenierungsgeschichte des Museums vom 19. Jahrhundert bis heute, die aus allen Ritzen hervorlugt.
Ausdrücklich würdigte Parzinger Günter Schade, den einstigen Generaldirektor der Ostberliner Museen, sowie seine einstige Stellvertreterin und spätere Stiftungs-Baureferentin Gisela Holan, deren Lieblingskind das Neue Museum war, dessen Gedeihen sie bis zuletzt intensiv überwachte. Tragisch, dass die in diesem Juli Verstorbene nun der Wiedereröffnung nicht mehr beiwohnen kann. Unvergessen der Spatenstich dieser beiden Initiatoren am 1. September 1989, dem 50. Jahrestag des Kriegsbeginns, als ausgerechnet im vollständig kriegszerstörten Nordwestflügel der Grundstein gelegt wurde, um endlich den in Sicht gekommenen Arbeitsbeginn zu dokumentieren. Zu diesem Zeitpunkt durfte nach der DDR-Sprachregelung schon nicht mehr von »Wiederaufbau« gesprochen werden, sondern nurmehr von der »Schaffung der Voraussetzungen und der Sicherung der Bauruine«. Doch nach all dem Ungemach mündet das tragische Vorsichhindämmern jetzt in ein Happy End, wie es Schievelbeins Fries im Griechischen Hof erzählt: Nach dem Ausbruch des Vesuvs im Jahre 79 n. Chr. fliehen die Bewohner von Pompeji – und werden in Berlin vom Architekten August Stüler sowie vom Museumsdirektor Ignaz von Olfers aufgenommen, überreichen dabei die aus der zerstörten Stadt geretteten Altertümer. Aus dem Chaos erwächst die Ordnung wie Phoenix aus der Asche hervorgeht.
Nach siebzig Jahren erklärt Parzinger durch die Eröffnung des Neuen Museums die Nachkriegszeit auf der Museumsinsel für beendet. Endlich stehen wieder sämtliche fünf Museen dem Publikum zur Verfügung. »Dies ist nicht nur ein großer Tag für die internationale Architektur, sondern auch für die Archäologie«, frohlockt der Stiftungs-Präsident.
Einst in Ägypten im Allerheiligsten
Tatsächlich kann der Besucher vom 700 000 Jahre alten Faustkeil der Altsteinzeit über ägyptische Sarkophage und Schliemanns Priamosschatz bis hin zu Devotionalien vom Gelände des Friedhofs der St. Hedwigs-Gemeinde sowie einem Stück Stacheldraht von der Berliner Mauer – dem jüngsten Objekt des Museums für Vor- und Frühgeschichte – einen beeindruckenden Parcours absolvieren. Auch ein Silberbesteck von Lutter und Wegner, das Archäologen 1993 am Gendarmenmarkt ausbuddelten, belegt, dass die Kuratoren keine Berührungsängste an den Tag legen.
Wenn die Besucher künftig das Neue Museum über die Archäologische Promenade vom Alten Museum aus betreten, finden sie sich in einem dreischiffigen Gewölbe wieder, dessen Mittelschiff in eine Apsis mündet. Dort steht wie in einem Altarraum ein leerer Granitschrein. Ursprünglich befand er sich im Allerheiligsten eines altägyptischen Tempels und barg hinter geschlossenen Flügeltüren das Kultbild einer Gottheit. Es ist der zentrale Bezugspunkt einer Installation, mit dem sich sieben Abteilungen der Staatlichen Museen an die Frage wagen, wie unterschiedlich weltweit Kulturen die Grunderfahrung der Existenz eines Gottes in Bilder oder Worte fassen. So sehen wir neben einem Christus als Schmerzensmann einen feminin wirkenden griechisch-römischen Dionysos, aztekische Jademasken oder hölzerne Ahnenfiguren aus Mali.
Atemberaubend geglückt ist dem Architekten die Einbindung der ägyptischen Feier der Ewigkeit in eine Metaphysik des Lichts. Bleiern lagern die bis zu zehn Tonnen schweren Sarkophage aus altägyptischer, römischer und frühchristlicher Zeit im »Ägyptischen Hof«. Die menschenförmigen Steinsarkophage Ägyptens steigern die Mumienform ins Monumentale, treten in Dialog mit den beinahe zeitgleich entstandenen Steinkistengräbern der Insel Helgoland sowie den einfach dekorierten Riefelsarg aus Sizilien, den ein Guter Hirte als Christussymbol schmückt. Flankiert wird dieser Grabsaal von Totenbüchern, welche bis zu zehn Meter lang sein konnten und welche in bunten Illustrationen auf Papyrus das Jenseitsgericht sowie die Gefilde der Seligen darstellen.
Schlichtweg genial muss man Chipperfields Einfall nennen, eine über dem Raum schwebende Decke einzuziehen, die zugleich die Plattform der Familie Echnatons bildet: Physisch erlebbar wird hier ein Jenseitsbild manifest, das zum Licht, zum ewigen Leben ausgerichtet ist. Ein echtes Highlight sind die drei Opferkammern aus der Pyramidenzeit, die wie ein Bilderlexikon das tägliche Leben ausbreiten vom Handwerk und der Landwirtschaft bis hin zur Tier- und Pflanzenwelt.
Weniger geglückt erscheinen indes die Präsentation der diversen Grundtypen ägyptischer Plastiken. Dies liegt weniger an den puristischen Räumen Chipperfields, denn an der dominanten Vitrinenarchitektur mit ihren störenden schwarzen Fugen, welche nicht das Exponat erhöhen, vielmehr erschlagen. Schon im Bode-Museum ließen Vitrinen und Sockel oftmals Eleganz vermissen, doch ist hier größtenteils der Zugang des Betrachters nicht durch enervierendes Glas erschwert. Der Serenissima des Neuen Museums, die Nofretete, gebührt ein standesgemäßer Auftritt mit Aplomb unter der nördlichen Kuppel. Lediglich eine Bronzebüste von James Simon, der die Ausgrabungen finanzierte und das gute Stück letztlich den Museen schenkte, leistet der unter Panzerglas Geschützten Gesellschaft. So wird ihr Name zur Erfüllung, bedeutet »Nofretete« doch »Die Schöne ist angekommen«. Subtil ist auch die Blickachse, die von der anmutigen Büste hin zur Kolossalskulptur des Sonnengottes Helios führt. Im Niobidensaal schließlich, dem schönsten und am vollständig erhaltensten Raum, wird kunstvoll eine »Bibliothek der Antike« ausgebreitet. Aus der reichen Papyri-Sammlung – eine der bedeutendsten auf der Welt – wurden Texte aus Literatur, Wissen und Religion ausgewählt.
Anregend, wie die Sammlungen des Ägyptischen Museums, der Vor- und Frühgeschichte und der Antiken-Sammlung miteinander in Dialog treten. So folgt auf Schliemanns Trojafunden – mit dezidiertem Hinweis auf den bis heute in Russland als »Kriegsbeute« verschleppten Löwenanteil des Priamos-Schatzes – eine besonders aparte Sammlung um den Aphrodite-Kult auf Zypern.
Von der Eisenzeit bis in jüngste Gegenwart
Weiter werden die römischen Provinzen beleuchtet, wobei sich die Imperatoren Germanen vorzugsweise wild grimassierend und gestikulierend vorstellten. Schließlich rückt die Völkerwanderungszeit in den Blick und macht den Clash of Cultures in Mitteleuropa sinnfällig. Nicht nur Schriftkulturen können überaus reflexiv sein, wie der spektakuläre goldene Zeremonialhut aus der Bronzezeit. Diffiziles astronomisches Wissen hat sich hier niedergeschlagen: Über ein halbes Jahrtausend bevor der Grieche Meton 432 v. Chr. den Sonnen-Mond-Rhythmus mathematisch berechnete, waren diese den bronzezeitlichen Gelehrten bereits bekannt! Insbesondere an ein Schüler- oder Familienpublikum adressiert ist die oberste Museumsebene, die mit der Eisenzeit beginnt und mit den erwähnten Berliner Mauerreliquien endet. Der beim U-Bahn-Bau ausgegrabene »Elch vom Hansaplatz« fehlt hier ebenso wenig wie die Gegenüberstellung des Neandertalers mit dem Homo sapiens sapiens.
Erfreulich verzichtet man auf eine Didaktik mit dem Holzhammer: Stattdessen wird viel Wert gelegt auf eine sinnliche Aufbereitung der Exponate, die gleichwohl Zusammenhänge erklären will. Da ist das ursprüngliche Konzept des Neuen Museums wieder bei sich angekommen. Und auch auf Schinkels Formel für das Alte Museum könnte man sich berufen: »Erst erfreuen, dann belehren.« Das im neuen Glanz erstrahlende Neue Museum unterstreicht wirkungsvoll den Status der Museumsinsel als Unesco-Weltkulturerbe.
Zeitfenstertickets unter: (030) 266 42 42 42 (Mo-Fr 9-16 Uhr); www.smb.museum/neuesmuseum
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