Bohren, Schleifen, Reißen
300 Jahre Zahnheilkunde in Berlin: Eine Schau im Medizinhistorischen Museum der Charité
Au Backe! Wer vor den Zahnbehandlungsstühlen aus den 50er, 60er oder auch 70er Jahren steht, bekommt schweißnasse Hände und meint, das Heulen des Bohrers zu hören. Obwohl die zahnärztlichen Sitzgelegenheiten aus der »frühen Neuzeit« stammen, ähneln sie mehr Foltergeräten als Stühlen, auf denen man Linderung von Schmerzen erleben will. Die Objekte gehören zu einer Sonderausstellung im Medizinhistorischen Museum der Charité: Goldgefüllt und perlengleich – 300 Jahre Zahnheilkunde in Berlin.
Die Schau, die von heute an geöffnet ist, führt zurück bis in die Zeit, als es dem Zahn noch mit brachialer Gewalt ohne Betäubung und martialischen Geräten wie dem Mundspreizer an die Wurzel ging. »Damals wurden die schmerzenden Zähne noch vom Wundheiler, Bader oder Barbier gerissen«, berichtete gestern Museumsdirektor Thomas Schnalke. Unter dem Motto »Bohren, Schleifen, Reißen« waren damals die fahrenden Wundärzte unterwegs.
Manch einer der reisenden Reißer konnte von Glück sagen, wenn er schon einige Kilometer vom Ort des quälenden Geschehens entfernt war, denn so mancher Patient überlebte die Tortur nicht. »Der starb zwar nicht am fehlenden Zahn, sondern an Folgen wie einer Infektion«, erklärte Felix Blankenstein, der Vorsitzende der Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde an der Humboldt-Universität.
»In der Geschichte der Zahnheilkunde war Berlin zentraler Impulsgeber«, erklärt Museumschef Thomas Schnalke. »Das begann im 18. Jahrhundert als Handwerksberuf, wurde im 19. Jahrhundert wissenschaftlich und mündete nach 1945 in die Spezialisierung wie Kieferorthopädie«, erinnerte er. Das Ziehen von Zähnen habe seinen Anfang in der Schmerzbeseitigung gehabt und ende mit kosmetischen Aspekten. Deshalb auch der Titel der Ausstellung »Goldgefüllt und perlengleich«. Heute sei ein schönes Gebiss keine Frage des Alters mehr, sondern allenfalls eine Frage der Kosten beim Zahnersatz.
Mit Pierre Fauchard in Paris (1678 bis 1761) und dem Berliner Philipp Pfaff (1713 bis 1766) traten die ersten Zahnärzte auf den Markt, berichtete der Museumsleiter. Pfaffs »Abhandlung von den Zähnen« ist danach noch heute das Fundament der deutschen zahnärztlichen Literatur. Im 19. Jahrhundert erleichterte die Technisierung die Zahnbehandlung. Das Bohren wurde zum Beispiel von Fußbetrieb auf elektrischen Antrieb umgestellt, nun konnte mit Lachgas und Äther betäubt werden. Die mikrobiologischen Erkenntnisse von Robert Koch wurden Ende des 19. Jahrhunderts Grundlage für die Kariesforschung. Vor 125 Jahren wurde in Berlin das erste deutsche Zahnärztliche Universitätsinstitut gegründet.
300 Jahre Zahnheilkunde in Berlin, Medizinhistorisches Museum der Charité, Charitéplatz 1, Mitte, 21. 10. 09 bis 28. 2.10, Di bis So 10 – 17 Uhr, Mi und Sa 10 – 19 Uhr; www.bmm.charite.de
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