Koalitionsvertrag bringt Länder in Not
Vom Saarland bis Mecklenburg-Vorpommern sind Landespolitiker besorgt über die Löcher, die Schwarz-Gelb in ihre Kassen reißt
In Hannover gibt es schon seit Wochen Ärger um den Landeshaushalt. In der Krise reicht das Geld nicht, Ministerpräsident Christian Wulff will noch für dieses Jahr in einem Nachtragshaushalt 2,3 Milliarden Euro an Schulden aufnehmen, für das kommende Jahr noch einmal so viel.
An diesem Vorhaben hat jedoch der Landesrechnungshof rechtliche Zweifel angemeldet: Die Steuereinbrüche beliefen sich laut Schätzung für dieses Jahr auf »nur« 1,3 Milliarden, für 2010 jedoch auf 3 Milliarden Euro. Die Landesregierung, so die Rechnungsprüfer, versuche offenbar, jetzt ein kreditfinanziertes Polster für das kommende Jahr anzulegen. Das sei schlicht verfassungswidrig. Ein seltsames Gebaren der Landesregierung, gegen das SPD-Fraktionschef Wolfgang Jüttner bereits eine Klage beim Bückeburger Staatsgerichtshof angekündigt hat. Und das sich Manfred Sohn, Fraktionschef der Linkspartei in Hannover, folgendermaßen erklärt: »Wulff will nur nicht als derjenige in die Geschichte eingehen, der den Rekord bei der Neuverschuldung des Landes hält.«
Ein ganzes Land eingespart
Ein kurzfristiges Kassenloch von weit über vier Milliarden – die Lage war in Hannover schon vor dem Wochenende dramatisch genug. Nun aber verschärft sie sich weiter: Die Steuerbeschlüsse des Koalitionsvertrages, schätzt Sohn gegenüber ND, werden das Land »in 2010 eine und ab 2011 je zwei Milliarden Euro jährlich« kosten.
Der niedersächsische Jahreshaushalt hat einen Umfang von etwa 25 Milliarden, in etwa der Betrag, um den die Merkel-Westerwelle-Koalition die Steuern senken will. Für Niedersachsen betrüge die Zusatzlücke durch den Koalitionsvertrag ab 2011 also etwa acht Prozent der Jahresausgaben, rechnet Sohn vor: »Das ist keine Lappalie. Das geht tief an die Substanz.« Als Folge fürchtet er eine »Streichorgie«, vor allem im Bildungsbereich. »Es empört mich, dass die Bundesregierung Steuersenkungen beschließt, die dann wesentlich von Ländern und Kommunen bezahlt werden sollen«, resümiert Sohn.
In Mecklenburg-Vorpommern schien die Lage bisher anders. Die rot-schwarze Koalition in Schwerin hatte sich frühzeitig festgelegt, auch in der Krise bei einem Nullverschuldungshaushalt bleiben zu wollen. Den Kommunen hat die Regierung im neuen Finanzausgleichgesetz daher gerade mehrere hundert Millionen Euro gestrichen.
Mit dem Koalitionsvertrag im Bund, schätzt der Schweriner SPD-Fraktionschef Norbert Nieszery, kommt ein Minus von weiteren 240 Millionen Euro dazu. Auch Nieszery ist empört darüber, dass »in erster Linie die Länder« für die schwarz-gelben Wohltaten aufkommen müssten. Nun stoße »die Finanzierungsfähigkeit des Landes und der Kommunen an ihre Grenzen«. Jetzt, sagt Oppositionsführer Helmut Holter, werde Schwarz-Rot nicht mehr um neue Schulden herumkommen: »Mit der unverantwortlichen schwarz-gelben Steuerpolitik verschärft sich unsere Prognose, dass der Doppelhaushalt wegen der zu erwartenden Steuereinbrüche auf tönernen Füßen steht.«, wettert der Linkspartei-Fraktionschef. »Die Steuersenkungspolitik von Union und FDP geht massiv zu Lasten der Länder, die so in die Schulden getrieben werden.«
Schlüssel liegt beim Bund
Ulrich Nußbaum, der parteilose Finanzsenator im rot-roten Berlin, befürchtet für die Hauptstadt Mindereinnahmen von etwa 700 Millionen Euro und hat sie für die Hauptstadtpresse sogleich umgerechnet: Die Summe entspreche »50 000 Studienplätzen, 100 000 Kita-Plätzen oder 250 Schulen«, sagte er in der Montagsausgabe der »Morgenpost«. Dagegen will Berlin laut Nußbaum in Karlsruhe klagen. Es gehe nicht an, sagt auch der Finanzsenator, dass der Bund ein solches Steuersenkungsprogramm beschließe und es die Länder bezahlen lasse. Das stelle die Finanzordnung der Bundesrepublik in Frage. Auch im Saarland und in Sachsen-Anhalt sorgt der Koalitionsvertrag offenbar für Verstimmung. Dort sind es sogar CDU-Ministerpräsidenten, die ihr Missfallen kundtun.
Für Manfred Sohn zeigt der Koalitionsvertrag schmerzlich, wie abhängig die Länder sind. »Nur die Roten können das Land in die schwarzen Zahlen zurückführen«, sagt er mit Blick auf die Landespolitik. Der Schlüssel dazu liege aber in Berlin: Ohne Vermögensteuer, »Großerbensteuer«, eine Börsenumsatzsteuer und einen höheren Spitzensteuersatz im Bund lässt sich aus seiner Sicht »kein Landeshaushalt sanieren«.
Landesväter grummeln
Magdeburg (dpa/ND). Saar-Ministerpräsident Peter Müller (CDU) hat den Bund vor einer Überforderung der Länder bei den geplanten Steuerentlastungen und Bildungsausgaben gewarnt. »Alles dies bedeutet eben auch entweder weniger Einnahmen oder mehr Ausgaben«, sagte Müller am Montag beim kleinen Parteitag der CDU in Berlin. Die Frage sei, ob die Länder die vereinbarte Schuldenbremse dann auch wirklich einhalten könnten.
Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer (CDU), kündigte bereits am Wochenende Widerstand gegen die Finanzpläne an. »Ich halte einiges davon nicht für zustimmungsfähig im Bundesrat«, sagte Böhmer am Sonntag in der ZDF-Sendung »Berlin direkt«.
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