Bremsklötze für das Wachstum beseitigen
Interview mit dem FDP-Chef in Schleswig-Holstein, der sich als Sozialliberaler sieht und auf Schwarz-Gelb freut
ND: Nach 38 Jahren darf die FDP in Kiel wieder mitregieren. Ist die Partei politisch fit dafür?
Kubicki: Wir haben in Schleswig-Holstein einen Riesenerfolg erzielt. Und während der Koalitionsverhandlungen hat sich gezeigt, dass die FDP sehr gut auf die Regierung vorbereitet ist. Die Vereinbarung zeigt eine eindeutige liberale Handschrift. Wir haben unsere Wahlversprechen umgesetzt.
Sie bekleiden als Lichtgestalt der Liberalen im Norden kein Ministeramt. Warum so bescheiden?
Im Norden ist es länger hell als anderswo, deshalb sind wir alle Gestalten im Licht. Aber im Ernst: Mein Platz ist in der Fraktion. Die neue Politik für Schleswig-Holstein muss auch im Parlament mit Mehrheiten abgesichert werden. Das ist meine Aufgabe. Mit Bescheidenheit hat das nichts zu tun.
Zu lesen war, Sie sehen sich als »Sozialliberaler«. Das überrascht, zumal Sie kein gutes Haar an SPD-Chef Stegner lassen und jetzt mit der CDU in einem Boot sitzen.
Es kommt nicht darauf an, wie ich mich sehe, sondern welche Politik die FDP vertritt. Tatsache ist, dass Ralf Stegner die SPD in eine Richtung geführt hat, wo es für Liberale schwer wird, ausreichende politische Schnittmengen zu finden. Das Polizeigesetz, das er als Innenminister formuliert hat, kommt jetzt mit der CDU auf den Prüfstand und wird durch unsere Überarbeitung überhaupt erst der Verfassung entsprechen.
Nun steht die »Koalition des Aufbruchs« auf der Agenda. Was verbirgt sich inhaltlich dahinter?
Zunächst werden wir alle Bremsklötze für das wirtschaftliche Wachstum beseitigen. Investoren sollen dort investieren und Arbeitsplätze schaffen können, wo sie es wollen. Planungsgesetze und beispielsweise das Denkmalschutzgesetz haben hier im Land in der Vergangenheit viel zu viel verhindert. Dieses Wachstum wird die Einnahmen erbringen, die wir brauchen, um den Haushalt wieder ins Lot zu bringen. Darüber hinaus haben FDP und CDU den festen Willen, die strukturellen Probleme des Landeshaushaltes zu lösen. Mit der Haushaltsstrukturkommission gibt es ein Instrument, mit dem dies gelingen kann. Regierung, Regierungsfraktionen und Landesrechnungshof werden den Haushalt durchforsten und zunächst Aufgaben abbauen, damit Personal und schließlich Geld sparen. Und im dritten überlebenswichtigen Feld, der Bildungspolitik, wird die Koalition dafür sorgen, dass unterm Strich mehr und bessere Bildung für unsere Kinder und Jugendlichen herauskommt.
In welchen Punkten gibt es mit der Union größte Übereinstimmungen, wo hakt es am meisten?
Im Moment hakt gar nichts. Wir haben uns gemeinsam auf ein Programm geeinigt, das wird jetzt gemeinsam abgearbeitet.
Wo ist die Handschrift der FDP am deutlichsten zu erkennen?
Wir haben im Bildungs- und im Innen- und Rechtsbereich die Korrekturen für die Politik eingebaut, die aus unserer Sicht dringend notwendig waren. Das ist ein großer Erfolg.
Im Wahlkampf haben Sie heftig auf CDU-Finanzminister Rainer Wiegard wegen dessen mangelhaften Krisenmanagements in Sachen HSH Nordbank eingedroschen. Jetzt bleibt der Mann im Amt. Warum hat die FDP nicht auf die Neubesetzung dieses Amtes gepocht?
Es ist die Entscheidung der Union, wen sie als Minister ins Rennen schickt. Wir haben dafür gesorgt, dass die Aufsicht über die HSH Nordbank nicht mehr im Finanzministerium liegt. Damit sind unsere Forderungen erfüllt.
Immer wieder gerät Schleswig-Holstein bundesweit wegen des maroden AKW Krümmel in die Schlagzeilen. Welchen Kurs fährt Schwarz-Gelb in der Atom-Politik?
Die Atomaufsicht wird sehr genau prüfen, ob das AKW Krümmel wieder ans Netz gehen kann. Das geschieht nach Recht und Gesetz und nicht nach politischen Opportunitäten, wie SPD und Grüne immer wieder Glauben machen wollen. Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass auch die Möglichkeit geprüft werden soll, Reststrommengen von Meilern wie Krümmel auf Kraftwerke wie beispielsweise Brokdorf zu übertragen.
Die Koalitionäre wollen auf die Schuldenbremse treten und bis 2020 rund 5600 Stellen im Landesdienst streichen. Heißt das: weniger Polizeipräsenz und längere Wartezeiten in den Ämtern?
Nein, das heißt es ausdrücklich nicht. Wir müssen uns von Aufgaben trennen, dann brauchen wir weniger Personal und damit sparen wir dann auch Geld. So wird ein Schuh daraus. Im Bereich der Polizei ist die Arbeitsbelastung heute so hoch, dass wir keinen Polizisten einsparen können.
Eine fiese Frage zum Schluss: Schwarz-Gelb verfügt dank der Überhangmandate zwar über die Mehrheit im Landtag, hat aber 27 500 Zweitstimmen weniger erhalten als die Opposition aus SPD, Grünen, Linken und SSW. Fehlt Ihrer »Minderheitenregierung« nicht die politische Legitimation?
Das ist keine fiese Frage, sondern thematisiert einen realen Zustand, der allerdings schon häufiger aufgetreten ist. Schon 1992 hat die SPD in Schleswig-Holstein allein regiert, obwohl sie knapp 20 000 Stimmen weniger hatte als die Opposition. 2002 hatte Rot-Grün im Bund eine Mandatsmehrheit von neun Stimmen, obwohl SPD und Grüne 1,3 Millionen Zweitstimmen weniger hatten als der Rest der im Bundestag vertretenen Parteien. Im Jahr 2005 haben CDU und FDP eine Mehrheit im Parlament um gerade einmal 700 Wählerstimmen verpasst. Dann hätten wir regiert, obwohl SPD, Grüne und SSW über 30 000 Zweitstimmen mehr erhielten, und das ohne ein einziges Überhang- oder Ausgleichsmandat.
Was halten Sie von einer Änderung des ungerechten Wahlrechts in Schleswig-Holstein?
FDP und Union haben eine zügige Überarbeitung des Wahlrechts im Koalitionsvertrag festgeschrieben. SPD und CDU hatten dazu in ihrer Großen Koalition nicht die Kraft. Außerdem bleibt festzuhalten: Das geltende Wahlrecht ist von Rot-Grün in Jahr1997 eingeführt worden. Und ich sage ganz bewusst: Solange es genutzt hat, haben sie es nicht thematisiert. Jetzt ist das Geschrei groß, weil ihnen das Wahlergebnis nicht passt.
Fragen: Volker Stahl
Wolfgang Kubicki (57) ist seit 1996 Chef der FDP-Fraktion im Landtag Schleswig-Holsteins und gehört zu den illustersten Politikern im hohen Norden. Der begeisterte Motorbootfahrer prescht auch im Kieler Landtag meist stürmisch nach vorn. Mit SPD-Chef Ralf Stegner kommt er nicht klar, aber auch der volksnahe CDU-Ministerpräsident Peter Harry Carstensen war schon Opfer von Kubickis Spott. Jetzt müssen beide in einer schwarz-gelben Koalition miteinander klarkommen – wenn Carstensen heute als Ministerpräsident bestätigt wird. Ein Desaster wie 2005, als Heide Simonis in vier Anläufen scheiterte, wird Carstensen bei drei Stimmen Mehrheit wohl erspart bleiben.
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