Sex unterm Brandenburger Tor

Geschehnisse vom 9. November 1989 in einer Ausstellung im Polizeipräsidium

  • Rainer Funke
  • Lesedauer: 3 Min.

Besondere Lagen gehören in Berlin – anders als in Wuppertal oder Suhl – eher zum polizeilichen Alltag. Weshalb der Tag des Mauerfalls am 9. November 1989 wohl zu einer besonderen »besonderen Lage« geriet. Niemand in den Polizeiführungen beider Seiten der Stadt hatte geahnt, was kommen würde. Und als die Leute zu den Übergängen strömten, herrschte Chaos, hier mehr, dort weniger.

In der optisch etwas bescheidenen Ausstellung »Besondere Lage: Mauerfall« beanspruchen die Polizeien aus Ost- und Westberlin wie der Grenztruppen für sich, maßgeblich dazu beigetragen zu haben, dass diese kritischen Tage »ihre Friedlichkeit« behielten.

Auf 20 Tafeln an Säulen und Wänden im Foyer des Polizeipräsidiums werden in Schrift und Dokument die Stunden vor und nach dem Mauerfall aus Polizeisicht nachgezeichnet.

Als SED-Politbüro-Krisensprecher Günter Schabowski an besagtem Tag vor der Presse fabuliert, die Ausreiseregelungen würden ab »sofort« und »unverzüglich« in Kraft treten, ist man im Grenzkommando Mitte schockiert, so die Ausstellung. Man hatte keine Befehle – nichts. »Wenn die mich nicht informieren, mache ich gar nichts«, wird der Chef des Kommandos, Erich Wöllner, zitiert.

Auf der anderen Seite hatte sich die Polizeiführung bereits Tage vorher gefragt, was denn zu tun wäre, wenn die DDR-Führung Ausreisen zulasse und Hunderttausend den Kurfürstendamm bevölkern? Dem Polizeipräsidenten wird vom Senat der weise Rat erteilt, sich auf die Situation einzustellen. In einer Weisung an die Westberliner Polizisten heißt es, man möge an den »Übergangsstellen anlassbezogen« aufklären und Lagebericht geben. DDR-Bürger, die um Unterkunft bäten, seien an das Aussiedlerheim zu verweisen.

Noch vor Mitternacht strömen Ostberliner via Bornholmer Straße, Sonnenallee und Checkpoint Charlie – die ARD hatte berichtet, dass man hier bereits in den Westen gelangen konnte. Die Westberliner pilgerten derweil zuhauf in die Invalidenstraße. Die Ausstellung spekuliert, dies habe wohl damit zu tun, dass von dort das Fernsehen übertrug. Als die Mauer eben hier von westlicher Seite aus beschädigt wird, rückt Militärpolizei an. Die Berliner Grenzer-Chefs strapazieren vergeblich die Telefone. Im Führungsstab des Grenzkommandos ist man sich einig: »Es kann passieren, was will, geschossen wird nicht.« Auch für das Brandenburger Tor wird befohlen: Ruhe herstellen, aber ohne Schusswaffengebrauch.

An einzelnen Grenzübergängen gehen »Parlamentäre« der Polizei ohne Waffen und Funkgerät aufeinander zu, um Regularien zu besprechen, denn die Menschenansammlungen werden immer größer. Die meisten Offiziere (Ost) sind seit 24 Stunden im Dienst. Stunden später sollte man häufig und allüberall von ihnen hören, man sei von ganz Oben verraten worden. Unterdessen füllen sich die Lageberichte auch mit skurrilen Details. Ein Paar soll z.B. die Würde der Stunde mit Sex unter dem Brandenburger Tor gehuldigt haben, heißt es in der Ausstellung. Und eine Frau will nachhaltig gefordert haben, gerade an dieser Stelle die Grenze passieren zu wollen. Später eskaliert die Situation, als von der Westseite Bürger hier auf die Mauer klettern und versuchten, sie zu demolieren. An die 500 springen auf die Ostseite, einige werfen Brandsätze. Anderswo überwiegt die Begeisterung, bleiben Provokationen weitgehend aus.

Polizeipräsidium, Bln.-Tempelhof, Platz der Luftbrücke 6, bis 28. November tägl. 9 bis 18 Uhr, Eintritt frei, Begleitbroschüre: 1,50 Euro.

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