Da brannten die Sicherungen durch
Bisher unbescholtener Polizist nach Silvesterschlägerei wegen Körperverletzung verurteilt
In 60 Tagen werden sich genau wieder solche Szenen abspielen: Eine alkoholabgefüllte Masse liegt auf der Partymeile in den letzten Zuckungen, das Feuerwerk hat die Herzen erwärmt, der Sekt floss in Strömen, das Dauergedränge hat seine Spuren hinterlassen. Nun beginnt die Katerstimmung des 1. Januar 2010 langsam zu wirken.
Genauso muss es gewesen sein beim letzten Jahreswendefest am Brandenburger Tor. Irgendwo im Getümmel Thomas, 40-jähriger Polizeibeamter, und Michaela, 23-jährige arbeitslose Thüringerin, die sich nicht kannten und sich vorher niemals gesehen haben.
War es Schicksal oder böser Zufall, der beide an einem Stehtisch vor dem Bierzelt aufeinandertreffen ließ? Fakt ist, dass der eher schmächtig gebaute Beamte Thomas gegen 4.45 Uhr der mehr robusteren Michaela mit einer Bierflasche mindestens zweimal auf den Kopf schlug, er anschließend überwältigt und auf das Polizeipräsidium gebracht und Michaela zur gleichen Zeit in der Charité am Kopf genäht wurde. Nun steht der bisher korrekte und untadelige Dezernatsleiter im Innendienst mit einem Monatsnettogehalt von 3100 Euro vor einem Scherbenhaufen.
Aus seiner Sicht spielte sich die Sache so ab: Mit seiner Frau, einer gebürtigen Kenianerin, und Freunden waren sie zum Fest und hatten dort nicht nur ausgelassen getanzt, sondern auch kräftig gepichelt. Beim Gehen in den frühen Morgenstunden hielt er für einen Moment am Tisch vor dem Zelt inne und wartete auf die Nachhut. Stattdessen drängte sich Michaela, auch sie stand kräftig unter Strom, mit ihren frischen Zufallsfreunden an die Rampe. Aus Missfallen wurden gegenseitige Beleidigungen. Und Michaela, das zeigte sie gestern vor Gericht, war nicht zimperlich in ihren Umgangsformen. Sie kann auch austeilen, wenn sie provoziert wird – natürlich nur verbal, sagt sie. Doch es blieb nicht bei der Beschimpfungsschlacht. Plötzlich griff Michaela zur Flasche und feuchtete den Anzug des Beamten kräftig an. Als der dann noch bedrängt wurde und er meinte, eine rassistische Beschimpfung seiner Frau wahrgenommen zu haben, brannten die Sicherungen durch und er schlug mit der selben Flasche in Richtung des mutmaßlichen Angreifers.
Die Frage, die das Amtsgericht zu klären hatte, war, ob es sich bei den Schlägen um eine Form der Notwehr oder strafwürdige Körperverletzung handelt. Der Richter versuchte in mahnenden Worten, dem am Boden zerstörten Beamten eine Brücke zu bauen. Alle bisherigen Aussagen in den polizeilichen Ermittlungen hätten keinen Beweis für eine Notwehrsituation erbracht. Deshalb schlug er vor, das Verfahren gegen eine Zahlung von 10 000 Euro an die Geschädigte einzustellen. Davon waren weder der angeklagte Polizist noch der Anwalt der jungen Frau zu überzeugen. Somit sollte die Verhandlung Auskunft darüber geben, wer gestänkert, wer provoziert, wer beleidigt hat und wer die Hauptverantwortung für den Zwischenfall trägt. Zehn Zeugen, zehn verschiedene Darstellungen. Klar wurde nur, Thomas hat am Tisch still und unscheinbar vor sich hingestanden, Explosivität oder Hang zur Gewalttätigkeit hat keiner der Zeugen bemerkt. Und Michaela hatte vor Aufregung sogar ihre Bierattacke vergessen, die andere einwandfrei gesehen haben. Viel klüger wurde man gestern nicht. Für Thomas ging es um seine Karriere, auch für Michaela hätte am Ende eine Zivilklage wegen Beleidigung herausspringen können.
Am Ende verurteilte das Gericht den angeklagten Polizisten zu 3000 Euro Schmerzensgeld, die er an die Thüringerin überweisen muss. Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte den Beamten überdies gestern zugleich auch wegen gefährlicher Körperverletzung zu zehn Monaten Haft mit Bewährung, weil er im Rausch beschlossen habe, die Frau zu bestrafen, da sie seine Ehefrau beleidigt habe.
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