Stars, rundgeschliffen
Giuseppe Verdis »Simon Boccanegra« an der Staatsoper Berlin
In Berlin haperts, wie man weiß, an vielem; unter anderem schmerzhaft am »Glämmerfaktor«. Damit nicht genug, ging von Berlin schon vor Jahrzehnten das Gerücht aus, Ereignisse, bei denen Sänger und Orchester eine spannende Geschichte vorspielen, müsse man nicht rotsamten »Oper« nennen, sondern es ginge auch das schnöde »Musiktheater«.
Mit beiden Missständen hat die Staatoper Unter den Linden mittels Giuseppe Verdis »Simon Boccanegra« wieder einmal gründlich aufgeräumt. Dem Glitzern und Funkeln der Klunker an nur einem einzigen der unzähligen Kostüme saß ein ganzes Opernpublikum stumpftextilen – mangelnder Glamour, wie gesagt – gegenüber. Und was die Sache mit dem Theater betrifft: Wo steht eigentlich geschrieben, dass es nicht genügen soll, beim Singen ordentlich die Arme zu werfen, leidenschaftlich ans Herz, verzweifelt nach oben oder innig in Taillenhöhe nach vorn.
Unglaublich, dass die graumäusigen Berliner oppositionell dagegen buhten. Gott sei Dank, war die hauptstädtische Premiere eigentlich nur eine Voraufführung. In Mailand, wo die Meisterwerke der Kostümabteilung und Putzmacherei ihren schönen Abglanz im Saale wohl finden werden, kommt das mit der Scala koproduzierte Unternehmen »Boccanegra« im Frühjahr dann hoffentlich richtig zur Wirkung.
Dabei war die Sache durchaus verlockend. Es waren Sänger angekündigt, die dem Vokal-Gourmet zur höchsten Freude gereichten: Anja Harteros als schöne Amelia Grimaldi, die in Wirklichkeit Maria Boccanegra heißt, Staatsopern-Publikumsliebling Kwangchul Youn als hartherziger Jacopo Fiesco, der auch unter dem Namen Andrea auftritt, Fabio Sartori als tenoraler Liebhaber Gabriele Adorno, Hanno Müller-Brachmann als brutaler Aufsteiger Paolo und Plácido Domingo in der Baritonpartie des Genueser Dogen Simon Boccanegra.
Tatsächlich ließen alle hören, was sie stimmlich draufhaben und es gab Klänge, die einen dahinschmelzen lassen konnten. Das Liebespaar Harteros/Sartori strahlte duettierend um die Wette, spann seine Pianotöne, der fiese Königsmacher und frühere Seidenfadenwirker Müller-Brachmann donnerte gegen seinen erotischen Fehlschlag an, der alte Patrizier Kwangchul Youn rammte bassschwarze Unversöhnlichkeit auf die Bühne. Wirklich interessant war jedoch allein Domingo: Er beglaubigte in der Orgie des opulent kostümierten Rampensingens wenigstens mit seiner vokalen Gestaltungsfähigkeit, dass etwas faul ist im Staate Genua. Wie zu erwarten, war kein satt gepolsterter Bariton zu hören, sondern eine hell timbrierte Stimme, die sich in den erregten Spitzentönen sonnte und in der Tiefe aufzeigte, dass es zwischen mächtigen Patrizierfamilien fragil bestellt ist um die Herrschaft des Volkstribunen und ehemaligen Korsaren Simon Boccanegra.
Verdis Oper, in seinen mittleren Jahren komponiert, in den späten überarbeitet, verhandelt zwei unterschiedliche, doch musikalisch-szenisch ineinander verhakte Geschichten. Zum einen geht es um die vom Dogen Boccanegra bis zuletzt angestrengten Friedensbemühungen nach außen mit den Tartaren, mit Venedig, und nach innen. Er wünscht um Genuas Seemacht willen die Beendigung alter Fehden der ligurischen Patrizier-Familien untereinander. Zum zweiten geht es bei Verdi um eine verworrene Familiengeschichte, bei der eine heimliche Ehe, eine verlorengeglaubte und wiederaufgetauchte Tochter, eine Liebe über verfeindete Linien, Eifersucht und Intrige ihre Rolle spielen. Das alles in seiner Vielschichtigkeit ist eine Herausforderung für jeden Regisseur. Federico Tiezzi nahm sie an – und schrieb einen tiefgründigen Artikel für das Programmbuch. Auf der Bühne wurde posiert, wie es den Stars eben in den Sinn kam.
Daniel Barenboim und die Berliner Staatskapelle lieferten den perfekten Soundtrack dazu. Es gab innige Momente und enormes Donnergrollen, und doch wirkte alles so rundgeschliffen, dass es mit dem orchestralen Glamourfaktor auch wieder nichts war.
Nächste Vorstellungen am 7., 10., und 13. November
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