Warnung vor dem Lehrer
Sloterdijks Plädoyer für eine andere Schule reaktiviert einen vordemokratischen Bildungsbegriff
Das schlechte Abschneiden deutscher Schülerinnen und Schüler in der PISA-Studie 2000 löste hierzulande eine kontroverse Debatte über das Bildungswesen aus. Neben vielen anderen Aspekten spielte dabei die Lehr- und Lernkultur eine herausragende Rolle. Insbesondere am Verständnis dessen, was ein Lehrer bzw. eine Lehrerin zu leisten habe, entzündete sich die Kritik. Vorschläge, was sich an der Lehrertätigkeit zu ändern habe, kamen von mehr oder weniger berufener Seite.
Lehrer »Klimaschädlinge erster Größenordnung«
Unvermutet meldete sich eine prominente Stimme zu Wort, mit der wohl keiner gerechnet hatte. Der Philosoph und Medienintellektuelle Peter Sloterdijk äußert sich 2001 in einem Zeitungsinterview zur Schule und zum Lehrerberuf. (Lehrer sollen Verführer sein. In: Die Woche vom 14. September 2001) Er tut das als Vater und als Diagnostiker des Zeitgeistes, den die Sorge um das Lehr- und Lernklima an den Schulen umtreibt. Vor allem die Lehrkräfte bieten ihm Anlass zur Sorge. Sloterdijk hält sie für »Berufslangweiler, die die kindliche Intelligenz verleimen, verkleben und beleidigen«. Mit ihrer »Entmutigungsdidaktik« rauben sie den Kindern die »Lern-Libido«, nehmen ihnen also den Enthusiasmus und die Begeisterung, sich selbst bilden zu können.
In typisch Sloterdijkscher Diktion werden Lehrer als »Klimaschädling(e) erster Größenordnung« beurteilt, die, weil sie ein »Klimamonopol« innehaben, den Schulunterricht kolonisieren. Zur Brechung des Klimamonopols von Lehrern, aber auch Eltern hält der Philosoph eine Entprofessionalisierung des Unterrichts für erforderlich. Das meint, »starke Menschen mit interessanten Tätigkeiten« in die Schulen zu holen, »interessante Leute, die faszinierender sind als irgendeine durchschnittliche Unterhaltung«. Nur sie vermögen »Menschen in Begeisterungszusammenhänge« zu ziehen und »didaktische Wunder« zu vollbringen. Lehrende, bedeutet das, »sollen Verführer sein«. Das Plädoyer für eine faszinierende Lehre reaktiviert die Vorstellung vom Lehrenden als charismatischer Persönlichkeit, die die Lernenden zu verführen bzw. mitzureißen vermag.
Dem pessimistischen Lehrerbild des Philosophen mag man als Votum für die Wiederbelebung des pädagogischen Eros noch eine positive Seite abgewinnen, für Sloterdijks Auffassung von der Institution Schule kann das nicht gelten. Es wäre nämlich ein Missverständnis, die Entprofessionalisierung des Unterrichts als Öffnung der Schulen zu ihrem gesellschaftlichen Umfeld hin zu begreifen. Das Gegenteil ist der Fall. Für Sloterdijk ist die Schule alles andere als eine »embryonic society« (John Dewey) oder eine Polis (Hartmut von Hentig), ein demokratisches Gemeinwesen also. Mit einer Öffnung der Schule ins soziale Umfeld würde bloß den Klimaschädlingen, Lehrern und Eltern also, der Weg geebnet für die Ausübung ihres Klimamonopols, meint Sloterdijk. Davor gelte es die Heranwachsenden zu bewahren. Um sie nicht dem »Realismuskonzept«, »Pessimismus« und den »Angstprojektionen« von Klimaschädlingen auszusetzen, seien die jungen Menschen vom gesellschaftlichen Alltag abzuschirmen.
Schule als autoritäre Anstalt
Auch der langjährige Leiter der Internatsschule Schloss Salem, Bernhard Bueb, versteht die Schule als exklusive Einrichtung. Womöglich genießt er deswegen die Sympathie des Philosophen. Im Philosophischen Quartett, einer Sendung des ZDF, die Sloterdijk gemeinsam mit Rüdiger Safranski bestreitet, erfährt Buebs pädagogische Streitschrift »Lob der Disziplin« (2006) jedenfalls eine äußerst wohlwollende Besprechung. Dabei gibt die zweifelhafte Streitschrift Anlass für aufschlussreiche Betrachtungen über das geistige und politische Klima in dieser Republik. Das Buch ist ein Verkaufsschlager. Es erklimmt die Spiegel-Bestseller-Liste und hält sich monatelang auf dem ersten Platz.
Dasselbe gelingt Buebs zweitem Buch 2008, das der Spiegel als »Fundamentalkritik am deutschen Schulwesen« preist. »Von der Pflicht zu führen. Neun Gebote der Bildung« lautet der Titel der zweiten Streitschrift. Er offenbart überdeutlich, worum es dem Schulpraktiker geht. Wie der Philosoph sorgt sich der Pädagoge um die »Entmutigungsdidaktik«, die den Schülerinnen und Schülern die Freude am Lernen austreibt. Und wie Sloterdijk macht auch Bueb dafür hauptsächlich die Lehrer verantwortlich. Dass sie keine Führungspersönlichkeiten seien, kreidet er ihnen an. Die müssten sie aber sein, weil ein Zögling »gute Führung« brauche, wenn die nötige Begeisterung fürs Lernen geweckt werden soll. Schule und Unterricht, so die Konsequenz, bedürfen einer straffen Führung.
Deshalb spricht sich der Schulpraktiker Bueb für eine Professionalisierung des Schulbetriebs aus. Schule sei schließlich – »wie alle Unternehmen« – eine »vordemokratische« Einrichtung. An ihrer Spitze müsse daher »eine Person (stehen), die führt und deren Macht nicht durch eine Wahl oder das Einverständnis der Untergebenen legitimiert ist«. Macht, besagt das, setzen Pädagogen auch und gerade gegen das Widerstreben anderer durch. Mit einem derartigen Machtbegriff gerät Schule zu einer autoritären Anstalt, die den Zöglingen keine andere Wahl lässt, als sich fraglos unterzuordnen.
Schule als exklusive und als autoritäre Anstalt – das ist in der Tat vordemokratisch und obendrein gegen die Aufklärung gerichtet. Die Tatsache, dass die autoritäre Versuchung ausgerechnet in Sachen Bildung und Erziehung so groß ist, registriert der Beobachter mit einiger Ratlosigkeit. Demokratie als Lebensform muss gelernt bzw. geübt werden. Wo können Heranwachsende die Erfahrung des Bürgerhandelns machen, wenn nicht in der Schule?
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