Montagsdemo strahlt auf Leinwand
LINKE und Rosa-Luxemburg-Stiftung luden zu Veranstaltungen um Ereignisse des 4. November 89
Der Rosa-Luxemburg-Platz ist nicht der Alexanderplatz. Und 2009 ist wahrlich nicht 1989. Nur ein paar vom Regen besprühte Menschen standen am Mittwochabend vor der zwischen Volksbühne und Kino Babylon aufgebauten Großleinwand, um sich die Fernsehdokumentation der berühmten Kundgebung vom 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz anzuschauen. Die Massen auf der Leinwand und die spärlichen Gestalten im Stadtraum machten klar, dass nicht nur Zeit vergangen ist, sondern sich auch die Bezugssysteme verschoben haben. Ging es 1989 noch um den Umbau einer Gesellschaft, so will man heute tunlichst im Trockenen bleiben. Immerhin flog auf die Gesichter derer, die von den Lichtstrahlen der Projektion gebannt waren, ein Schimmer von Glück und Ergriffenheit. Sie waren zurück in jene Zeit versetzt, als der von 8 3/4 Stunden Arbeitszeit, ein bisschen Kabarett und ganz viel Mauer tumb gehaltene Riese Volk voller Staunen die eigene Kraft entdeckt hatte.
Die Großdemonstration des 4.11. galt denen, die dabei waren, als Monument der Veränderung. Jetzt geht es nur noch vorwärts, aber nicht mehr zurück, dachte man. Denn nicht mehr nur in Dresden und Leipzig, sondern auch in der Hauptstadt waren selbst organisierte Menschenmengen auf der Straße. Das Fernsehen war live dabei. Polizisten blickten ein wenig furchtsam und grundsätzlich freundlich. Das alles war neu und schön und voller Hoffnung.
Jetzt ist der Geist von 89 wieder in die Flasche gesperrt. Gekämpft wird bloß noch um die Einordnung der Ereignisse. Bei deutschen Revolutionen und Halbrevolutionen ist dies üblich. Jetzt geht es darum, ob die Leipziger Montagsdemonstration vom 9. Oktober 89 das entscheidende Element war oder vielleicht doch die Berliner Kundgebung vom 4. November. Vor allem aber ist wichtig, wer was wie begehen darf.
Die Linkspartei und die ihr nahestehende Rosa-Luxemburg-Stiftung ließen mit einer dreiteiligen Veranstaltung die Ereignisse des 4. November Revue passieren. Allen anderen potenziellen Veranstaltern schien das Datum nicht wichtig genug. »Wenn die Friedrich-Ebert-Stiftung dazu etwas gemacht hätte, wäre ich dort hingegangen. Aber die hatten nichts geplant«, sagte lapidar der evangelische Pfarrer Konrad Elmer-Herzig, damals Mitbegründer der ostdeutschen Sozialdemokratie und einer der Sprecher auf der Kundgebung. Von den waschechten Vertretern der Bürgerbewegung waren neben ihm nur noch der Pastor und Publizist Friedrich Schorlemmer und die Mitbegründerin der Vereinigten Linken, Marion Seelig, auf dem Podium erschienen. Die angefragten Vertreter der damals wichtigsten Oppositionsbewegung Neues Forum, Jens Reich und Marianne Birthler, sagten ab. Schwer stand der vor allem von Birthler und Vera Lengsfeld formulierte Vorwurf im Raum, die LINKE eigne sich die Revolution in der DDR an.
Doch was stand diese Partei, die auf den Trümmern einer einst staatstragenden Partei gegründet wurde, denn im Begriff, sich einzuverleiben? Angemeldet wurde die Kundgebung von Schauspielern der einstmals ebenfalls staatstragenden Theater der Hauptstadt. Sie hatten mangels freier Presse in den 80er Jahren der kritischen Diskussion eine Heimstatt geboten, waren von der Wucht der 89er Ereignisse aber überrollt worden. »Für unser Land« war ihr Plädoyer und das der mit ihnen verbundenen Schriftsteller, Komponisten und Musiker überschrieben, von denen ein Gutteil das Parteibuch der SED hatte.
»Für unser Land« war aus der Perspektive derer entstanden, die dieses Land an durchaus einflussreicher Position mitbestimmt hatten, es aber verändern wollten, und alle einluden, daran mitzutun. Gerade die, die sich in diesem Moment als »Das Volk« – und beileibe noch nicht »Ein Volk« – zu erkennen begannen. Eine staunende kritische Intelligenz und ein ungläubig seine Fesseln abstreifendes Volk trafen an diesem Tage glücklich aufeinander. Auch unter den Rednern herrschten, wahrscheinlich bis auf den direkten Vertreter der Staatsmacht, Günter Schabowski, Euphorie und Harmonie. Der Filmemacher Joachim Tschirner, einer der Redner der Kundgebung, hob zur 20-Jahresfeier hervor: »Damals gab es keine Gräben. Alle sprachen miteinander. Marianne Birthler, die ich gar nicht kannte, trug mir damals ihre Rede vor und fragte, ob das so auch gut ankam.«
20 Jahre später ist an die Stelle des Ringens um Konsens mitten im Stadtraum ein Deutungskleinkrieg via Medien getreten. Bezeichnenderweise traf die Wucht der medialen Kritik eine Veranstaltung, die den Kinosaal des Babylon nur zur Hälfte füllte. Wahrscheinlich kam auf jeden Journalisten, der den potenziellen Skandal protokollieren sollte, je ein echter Zuschauer.
Echtes Interesse daran, den Geist von 89 wieder aus der Flasche herauszuholen, hatte nur ein einziger der Zeitzeugen. Während die Parteichefs der Linken, Lothar Bisky und Gregor Gysi, sich wohl in der Veranstaltung irrten und immer wieder auf das frisch ausgehandelte rot-rote Bündnis in Brandenburg hinwiesen, betrieb der zwischen ihnen sitzende SDP-Gründer Elmer-Herzig fundamentale Parteienschelte und rief dazu auf, das Räte-Modell der Runden Tische auch in dieser Demokratie wieder einzuführen. Außer Elmer-Herzig war auf dem Podium niemand zu sehen, den das Erbe des Herbsts 89 inhaltlich noch beschäftigt.
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