Glücklicher Aussteiger
Björn Engholm, einst Ministerpräsident und SPD-Chef, wird 70
Lübeck. Die »große Politik« hat er seit mehr als 15 Jahren hinter sich gelassen. Doch der Mann, der als Kanzlerkandidat der große Hoffnungsträger der SPD und von 1988 bis 1993 Ministerpräsident in Kiel war, scheint sie nicht zu vermissen. »Das sind alte Geschichten, die hinter mir liegen«, sagt Björn Engholm. Heute engagiert er sich für Kultur und Bildung, führt den Vorsitz im Aufsichtsrat der Lübecker Hafen-Gesellschaft, ist Ehrenbürger der Universität zu Lübeck. »Ich bin gewissermaßen wieder in Lübeck angekommen«, sagt er. In seiner Heimatstadt Lübeck feiert Björn Engholm am heutigen Montag seinen 70. Geburtstag.
»Es wird zunächst eine kleine Sache im Lübecker Rathaus geben, anschließend feiern wir in der Winterkirche von St. Jakobi mit Freunden und vielen Gästen«, erzählt Engholm. Die Seefahrerkirche in Lübecks Altstadt ist Engholms Lieblingskirche.
Folgen der Barschel-Affäre
Engholms Rückzug aus der aktiven Politik ist verbunden mit den Kieler Affären von 1987 und 1993. Im Landtagswahlkampf 1987 hatte Referent Reiner Pfeiffer aus der Staatskanzlei von Ministerpräsident Uwe Barschel (CDU) den SPD-Kandidaten mit Schmutzaktionen überzogen. Er ließ ihn bespitzeln und traktierte ihn per Telefon mit einem Aids-Verdacht. Kurz vor der Wahl flog das »Waterkantgate« auf. Jahre später, 1993, musste das Affären-Opfer Engholm eine Falschaussage eingestehen: Er hatte 1987 ein paar Tage früher als immer behauptet von Pfeiffers Treiben erfahren. Engholm, der auch Parteichef war, trat von allen Ämtern zurück, die SPD stürzte in eine tiefe Krise. In einer Krise sieht er die SPD auch heute. »Ich bin seit 45 Jahren SPD-Mitglied und es erfüllt mich mit tiefer Trauer, dass eine einstige Volkspartei so viel Zustimmung in der Bevölkerung verloren hat«, sagt Engholm. Einen Grund sieht er in der Konkurrenz der LINKEN, der die SPD durch den Ruck zur Mitte unter Gerhard Schröder zu viel Raum gelassen habe.
»Die Politiker haben die Fähigkeit des Mitfühlens mit den Menschen verloren«, kritisiert Engholm. Mit der neuen SPD-Führungsmannschaft, sagt er, könne eine Rückkehr zu alten sozialdemokratischen Werten durchaus gelingen, auch wenn er es besser gefunden hätte, erst nach neuen Inhalten und dann nach neuen Personen zu suchen. Zur Tagespolitik hält Engholm Distanz; den Regierenden mag er nicht sagen, was sie tun sollen. »Diejenigen, die Verantwortung tragen, sollen sie auch tragen.« Auch beneide er keinen, der heute regiert. Zu seiner Zeit seien die Umstände objektiv besser gewesen, was im Wesentlichen mit dem Geld zusammenhänge. »Politik kann real viel weniger gestalten«, stellt er fest.
240 Riesling-Rebstöcke
An seinem 70. wird Engholm unwillkürlich auch an seinen 50. Geburtstag am 9. November 1989 denken. Damals ging der Empfang zu seinen Ehren im Lübecker Rathaus im Jubel über die Öffnung der Grenze unter, wie er immer wieder gern erzählt. Mit seinen Gästen kann Engholm, der als Schöngeist gilt und der bildenden Kunst, der Literatur und einem guten Tropfen zugetan ist, mit Wein und Sekt aus seinem eigenen Weingarten anstoßen. Er besitzt im Rheingau auf rund 600 Quadratmeter 240 Riesling-Rebstöcke – »in guter Lage«, wie er betont.
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