Grauer Beton und zarte Bilder

Arbeiten aus Ost und West auf drei Etagen: »Fallmauerfall« im Ephraim-Palais

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.
Grauer Beton und zarte Bilder

Wer es sich einfach macht, für den war die Berliner Mauer die größte fest installierte Staffelei der Welt. »Erich, gib mir mehr Platz zum malen«, schrieb in den 80er Jahren ein Spaßvogel auf die Westseite des die Stadt trennenden steinernen Streifens. Die Bemerkung ist auf einer fotografischen Mauerdokumentation von Thomas Kummerow zu sehen, die Teil einer umfassenden Ausstellung von Auseinandersetzungen Berliner Künstler mit der Mauer ist, die am Freitag im Ephraim-Palais eröffnet wurde.

»Fallmauerfall« ist eine opulente Ausstellung. Sie vereint auf drei Etagen Arbeiten aus Ost und West, aus der Zeit, als die Mauer noch stand, als sie im Begriff war, zu fallen und als sie endgültig verschwunden ist. Von Trauer über Wut und Anklage bis zu Spiel, anarchischem Eingriff und ironischer Überhöhung reicht die Palette. Weil die Qualität der Arbeiten ebenso breit gefächert ist wie die Art der Annäherung an das Thema, ist die Ausstellung zuweilen gefährdet, wenig mehr als ein nach zeitlichen und geografischen Kriterien sortierter Gemischtwarenladen zu sein. Eine Entscheidung entweder hin zu unbedingter ästhetischer Qualität oder zu einer Dramaturgie, die mehr ist als das Abschreiten von Zeitmarken, wäre zu wünschen gewesen. Als Denkraum, der über die wohlfeilen Sonntagsreden zum Mauerfall hinaus geht, kommt »Fallmauerfall« derzeit aber eine besondere Position zu.

Das optisch eindrucksvollste Werk der Ausstellung stammt vom Bildhauer Trak Wendisch. Zwei Rotten von Flammen versengter hölzerner Hunde ziehen an zwei schlanken Menschenfiguren vorbei, die in Maschendraht eingewickelt sind. Bedrohlich – und in all ihrer und Diszipliniertheit noch furchtbarer erscheinend – wirken die schwarzen Hunde, gefesselt und eingeschnürt die Menschen. In dieser nach dem Fall der Mauer entstandenen Figurengruppe manifestiert sich noch einmal das Grauen, das von dieser Einrichtung ausging. Kleiner, zarter, aber nicht weniger bedrückend sind eine Zeichnung von Annemirl Bauer, die ein von Hunden und Grenzsoldaten umringtes Areal aufs Papier bannt, und eine subtile Grafik Horst Strempels, der zwei Mütter mit Kind dies- und jenseits der Mauer zeigt.

Die Materialwahl ist erstklassig. Erstklassig waren auch die Performance-Künstler, die in den 80er Jahren an der westlichen Seite der Mauer in Aktion traten. Ein Video zeigt Kain Karawahns spektakuläre Feuerperformance. Eine Fotoserie dokumentiert, wie Ewa Partum ihren nackten, zerbrechlichen Körper vor dem trostlosen Grau des Betons platziert.

Unter den Arbeiten nach 1989 ragen Marcus Kaisers Mauerlochbilder und Martin Kaltwassers Serie von Aufnahmen von Aussichtsplattformen heraus. Während Kaltwasser die Melancholie funktionslos gewordener Behelfsbauwerke einfängt, ist in Kaisers Bildpaaren, in denen von Ost nach West und West nach Ost durch das gleiche Loch in der Mauer geschaut werden kann, noch etwas von der Neugier auf die jeweils andere Seite und der Undefiniertheit der Nachbarbebauung des Grenzstreifens spürbar.

Historischen Wert hat der »rote Teppich« von Barbara Brandhorst. Die Künstlerin legte bei der Maueröffnung an der Übergangsstelle Heinrich-Heine-Straße eine Papierbahn aus, auf der die Schuhsohlen der Passanten eine regelmäßige Struktur hinterließen.

Enttäuschend hingegen ist eine der aktuellsten Arbeiten. Die Computeranimation »Virtual Wall« von Tamiko Thiel und Teresa Reuter ist grafisch und erzählerisch zu dünn, um die Besucher länger als wenige Augenblicke zu fesseln.

Insgesamt belegt die Ausstellung, dass große Themen die Künstler eher selten zu gro�ßen Taten inspirieren. Manch überraschende Einsicht und manch emotionalen Moment bietet »Fallmauerfall« dennoch.

Noch bis 21. Februar, Poststraße 16, Berlin Mitte, di., do-fr 10 - 18 Uhr, mi. 12-18 Uhr. Der Eintritt ist frei.

»Berlin brennt« von Kain Karawahn (o.), »9. November '89« von Sabine Franek
»Berlin brennt« von Kain Karawahn (o.), »9. November '89« von Sabine Franek

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