Freiheit ohne Sicherheitslücken

Das Fest zum Mauerfall vor dem Brandenburger Tor stellte die Sinne auf eine harte Probe

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 3 Min.

Wohin der Blick fiel, es blinkte und blitzte, goss und strömte – so farbenprächtig und naturhaft war das Brandenburger Tor noch nie. Wogend der Übergang zwischen laut und leise, dunkel und hell, schnell und langsam. Eilig hatten es die Motorradkolonnen, die die schwarzen, schusssicheren Daimler eskortierten. Husch-husch, schon waren sie um die Ecke. Warum erscheinen und verschwinden sie so schnell? Fakt ist: Viel Tünche braucht das TV – und Positivität.

Selten schön präsentierte sich auch der Pariser Platz, der Platz der Banken und der Akademie der Künste. Der untersetzte Daniel Barenboim thronte. Die TV-Kamera, zuständig für die Bespielung der Videowände, hob ihn noch höher hinaus. Blendend die hellblau bemalte Bühne mit dem riesigen gläsernen Dach. Oder war es bloß Plastik? Die Blech- und Schlaginstrumente der Staatskapelle blinkten golden und silbern. Die Geigenbögen verrieten Bereitschaft, loszustreichen.

Ein Knurren ging um. Den Tag über war in der Feststadt Landregen. Wie trübe immer der Himmel, die Menge strömte. Junge, Alte, Bunte und Graue. Schirme aufgespannt! Das »Fest der Freiheit« ruft. Doch wer glaubte, frei zur Stätte der Begegnung spazieren zu können, der irrte. Der S-Bahnhof Unter den Linden war gesperrt – Wegen Überfüllung, hieß es. Dann eben vom Bahnhof Friedrichstraße aus. Ein Mädchen: »Is ja schlimmer als zu Ostzeiten«. Wer in die Nähe der Glasbühne wollte, den behinderten Kontrollen oder ärgerten Pöbeleien.

Auch der Geruchssinn wurde auf die Probe gestellt. Es stank rundum nach Dieselabgasen. Einige Polizeiautos ließen ihre Motoren laufen. Andere rasten mit Blaulicht und Sirene durch regennasse, abgeriegelte Straßen. Was vorn auf der blauen Bühne vor sich ging, davon ahnten Polizisten und Grenzschützer nicht die Bohne. Artiges Achselzucken eines 18-Jährigen. »Gehen Sie doch mal dort herum.« »Aber von dort komme ich gerade.« Dann harsch: »Zeigen Sie bitte ihren Personalausweis!« Welche Würde zum »Fest der Freiheit«.

Übrigens: Wie sehr sicherheitsdienstlicher Sirenenklang auch verschönen kann, bewies der Freiheit atmende Abend durchaus. Irgendwas brach oder krachte zusammen, während die Staatskapelle, ihrem Namen alle Ehre machend, Wagners Lohengrin-Vorspiel in die Massen hineindonnerte.

Pflichtfertig wurde auch die Gedenkzone 9. November 1938, der Accelerator des Judenmords, bedient. Sprecher des Abends: Klaus-Maria Brandauer. Begleitet von unerfindlichen Sprechchören aus der Menge, schrie er den von Schönberg komponierten Bericht eines Überlebenden aus Warschau in einer Weise heraus, als hätte er der Welt zurufen wollen. »He, eigentlich ist in Deutschland nichts erledigt in der Faschismus- und Judenfrage.«

Auch Beethoven, Symbolfigur der Freiheitsliebe und ein Mann, der stets Zweifel hegte, sah er die Wiener ihre Würstchen fressen, durfte sich die Ehre geben. Unter polyfonem Sirenengetön erklang der jubilierende Finalsatz aus seiner siebten Sinfonie. Besser wäre natürlich das »Seid umschlungen...« gewesen. Danach Friedrich Goldmanns kurzes Orchestermusikfragment: ein dunkel tönender, zu hymnischer Höhe sich zwanghaft emporreckender Klang. Passend zur stinkenden Luft schließlich »Das ist die Berliner Luft, Luft, Luft« mit Placido Domingo. Höchste Zeit wurde es, wieder abzuziehen, bevor Thomas Gottschalk begann, sich in die Herzen der Menge einzuschleichen.

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