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Tieropfer zur Fußball-WM?
Michael Skriver über die Forderungen südafrikanischer Traditionalisten
ND: Traditionalisten wollen während der Fußball-Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika in sämtlichen Stadien sogenannte Opferkühe schlachten, um das Wohlwollen der Ahnen zu sichern. Ist so ein Ansinnen ernst zu nehmen?
Initiator ist immerhin der Makhonya Royal Trust, dem die Koordinierung aller kulturellen Aktivitäten zur WM übertragen wurden. Und der für Traditionsangelegenheiten zuständige Minister Sicelo Shiceka erklärte seine volle Unterstützung. Auf einer Versammlung traditioneller Führer in Pretoria behauptete er, das Schlachtritual betone die afrikanische Identität. Als Mitglied des ministeriellen Komitees für die WM-Vorbereitung will er den Veranstalter, also die FIFA, dafür gewinnen. Besonders grotesk: Mit dem Treffen, auf dem Shiceka sprach, sollte Nelson Mandela geehrt werden – der Mann, der seiner Hoffnung Ausdruck verliehen hat, dass auch solche Gewalt bei der WM keinen Platz hat. Übrigens gab es bereits beim Bau der Stadien Tieropfer.
Wie sind die Reaktionen von Tierschützern im Lande?
Die südafrikanische Tierschutzorganisation SPCA ist offenbar bereits von den Opferpriestern für deren Zwecke vereinnahmt worden. SPCA-Vertreter wollen sich darum kümmern, dass die Tiere vor der Opferung »gut« behandelt werden; die Opferzeremonie selbst fällt nicht in ihre Kompetenz.
Wie muss man sich so ein Tieropfer vorstellen?
Der zentrale Punkt in der afrikanischen Opferphilosophie ist das laute Schreien oder Brüllen des Tiers, damit die Ahnen es hören und erhören – also das Quälen ist unverzichtbar für den Erfolg! Darum werden gern Ziegen genommen, so bei Beerdigungen. Es wird mit Messern auf sie losgegangen; wenn eine Ziege nicht laut genug schreit, kommt die nächste dran.
Gibt es Äußerungen der politischen Führung Südafrikas zu solchen archaischen Praktiken?
Anfang November wandte sich die indische Tierrechtsaktivistin Maneka Gandhi an Südafrikas Präsident Jacob Zuma mit der Bitte, für die Abschaffung eines grausamen Opferrituals einzutreten. Dabei geht es um die Tötung eines Bullen anlässlich eines Erntefestes. Tierschutzgesetze werden auch hier von der Devise angeblicher »kultureller Freiheit« ausgehebelt. Umso mehr überraschte Zumas klare Reaktion: »Während ich Kultur respektiere – dieses Bullen-Tötungs-Ritual verursacht einem unschuldigen Geschöpf extreme Qualen und hat keinen Platz in der modernen Welt.« Wenigstens etwas gute Hoffnung am Kap.
Der Glaube, Gottes Liebe müsse mit Opfern erkauft werden, scheint unausrottbar. Zwar gehören Menschenopfer der Vergangenheit an, Tiere indes müssen weiter leiden und sterben für die Religion.
Dieses fatale Erbe ist auch in Europa präsent. Man denke zum Beispiel an Spanien, wo bis vor einigen Jahren auf dem Lande Bräuche gepflegt wurden, bei denen lebende Ziegen vom Kirchturm geworfen oder lebenden Hähnen die Köpfe abgerissen wurden. Man darf nicht vergessen, dass am Anfang des Christentums das gemarterte Opfer steht – der ans Kreuz genagelte Jesus. Laut Apostel Paulus war das für Gott unverzichtbar zur Rettung der Menschheit.
Wir haben also keinen Grund zu herablassenden Urteilen?
Das verbieten allein die Grausamkeiten in den Tierfabriken, die jenseits alles Religiösen sind. Andererseits sollten unsere afrikanischen Brüder und Schwestern nicht weiter hartnäckig glauben, sie würden ihre Identität verlieren, wenn sie endlich die dunklen Traditionen ihrer Kultur begraben.
Interview: Ingolf Bossenz
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