Wird Kurras doch einmal auspacken?
Ex-Polizist wegen unerlaubten Waffenbesitzes zu Bewährungsstrafe verurteilt
Kaum jemand würde sich für den Fall des fast 82 Jahre alten kranken Mannes interessieren, wenn es sich bei dem Angeklagten im ges-trigen Prozess vor dem Amtsgericht Tiergarten nicht um Karl-Heinz Kurras handelte. Das sagten sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung. Kurz und knapp heißt es in der Anklageschrift: Kurras soll am 12. Juni 2009 in seiner Wohnung in Spandau ohne entsprechende behördliche Erlaubnis einen scharfen mit sechs Patronen aufmunitionierten Revolver »Smith & Wesson« sowie 165 weitere Patronen und einen »Totschläger« in Besitz gehabt haben. Das ist alles.
Er ist kaum mehr in der Lage, dem Verfahren zu folgen. Er hört und sieht schwer, bewegen kann er sich nur mit Krücken.
Die Sachlage, weshalb er vor Gericht steht, ist eindeutig. Deshalb wurde er nach einer Verhandlungsdauer von nur 60 Minuten wegen unerlaubten Waffenbesitzes zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Zuvor verlas sein Verteidiger Mirko Röder eine Erklärung seines Mandanten, in der er den illegalen Waffenbesitz einräumte und es als »große Dummheit« bezeichnete. Eine »Dummheit«, die normalerweise mit einem Strafbefehl und einer Geldstrafe vom Tisch gewesen wäre.
Doch es ist Karl-Heinz Kurras, jener Polizeiobermeister, der am 2. Juni 1967 bei einer Demonstration in Westberlin den Studenten Benno Ohnesorg mit einem Schuss in den Hinterkopf tötete. Der Tod des Studenten wirkte im alten Westberlin und der Bundesrepublik wie ein Fanal für die 68er Studentenbewegung. Die Umstände dieser Bluttat sind bis heute nicht geklärt. Das offizielle Westberlin stellte sich damals hinter den Todesschützen. Justiz und Polizei hatten kein Interesse, das eigene Nest zu beschmutzen und einen aus den eigenen Reihen als Mörder verurteilt zu sehen.
Heute ist Kurras allein, denn er hat eine Todsünde begangen – neben seiner polizeilichen Schießarbeit hat er auch noch für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR spioniert. Das macht ihn nachträglich zu einem Mann aus dem Reich des Bösen.
Als das im Frühjahr bekannt wurde, durchsuchte die Polizei seine Wohnung und fand die Pistole und weitere Schießeisen, für die der einst hoch geehrte Sportschütze einen Waffenschein besaß.
Kurras, das weist seine Biografie aus, brauchte immer Waffen, um Bestätigung zu finden – als Polizist, im Schießverein der Polizei und privat auf der Jagd. Ohne Pistole war er kein Mensch. Schon als Junge hat er von seinem Vater eine Pistole als Geschenk erhalten. Immer wieder mal wurde er mit Waffen erwischt, wo er eigentlich keine hätte haben dürfen. Mehrfach landete er vor Gericht, die Richter zeigten immer Milde. Das alles ist Geschichte, das Strafregister weist ihn als untadeligen, nicht vorbestraften Mann aus. Nun, als enttarnter Ostagent im Ruhestand, dürfte das anders sein.
Bundesanwaltschaft und die Berliner Generalstaatsanwaltschaft graben weiter, um Kurras wegen Geheimnisverrats und des Todesschusses auf den Studenten belangen zu können. Für den Fall, dass es zu Prozessen kommen sollte, hat Kurras gestern angekündigt, sein Schweigen zu brechen. Dann könnten Dinge zur Sprache kommen, die in diesem Verfahren keine Rolle spielten: Wie das offizielle Westberlin des Kalten Krieges einen kaltblütigen Mord verschleierte.
Gestern war von dem Rentner-Polizisten nichts mehr rauszuholen. Er will jetzt einfach nur seine Ruhe haben, die man ihm nicht gönnt. Die Verteidigung, die die Einstellung des Verfahren erreichen wollte, hat angekündigt, gegen das Urteil Rechtsmittel einzulegen.
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