Der Jesus-Skandal
Ausstellung dokumentiert den Streit um ein Gemälde von Max Liebermann
Groß, fast ein bisschen zu gewaltig für die intimen Wohnräume seiner einstigen Sommervilla am Wannsee ist Max Liebermanns Bild »Der zwölfjährige Jesus im Tempel«: Im Vordergrund ist ein gestikulierender Knabe mit blonden Locken und pausbackigem Gesicht dargestellt, ihn umringen alte Männer, auf ihren Schultern liegt der Gebetsschal. Hinter dem Kind, auf der rechten Bildseite, steht ein Lesepult, auf das sich ein Rabbiner stützt. Am Bildrand steht ein großer Mann mit Pelzmütze und einem langem dunklen Kaftan.
Direkt neben dem Gemälde hängt das Schwarz-Weiß-Foto eines ganz ähnlichen Bildes: Es ist die gleiche Szene, der Knabe ist jedoch barfuß und trägt dunkle Schläfenlocken, sein Gesicht schmal mit langer Nase. So hatte Max Liebermann 1879 ursprünglich seinen Jesus im Tempel dargestellt und damit einen Sturm der Entrüstung ausgelöst.
Der Wirbel um das Gemälde ist für die Berliner Liebermann-Villa ab Sonntag Anlass für die Ausstellung unter dem Titel »Der Jesus-Skandal«. Neben dem zentralen Exponat, einer Leihgabe aus der Hamburger Kunsthalle, versammelt sie erstmalig alle erhaltenen Vorstudien in Öl, Skizzen und Zeichnungen. Daneben präsentiert sie auch wichtige Vorbilder, darunter vor allem ein Ölgemälde von Adolf Menzel von 1851 sowie zwei Kupferstiche von Rembrandt und Werke anderer Künstler. Und sie präsentiert ausführlich in Zeitungsausschnitten und Dokumenten die Reaktion der Zeitgenossen.
Es ist das einzig bekannte Bild mit religiösem Motiv des späteren Berliner Sezessionisten Max Liebermann. »Er war ein Maler, der sich mit seinem Realismus gegen die akademische Kunst seiner Zeit auflehnte«, urteilt Kurator Martin Fass, der Leiter der Liebermann-Villa. Bilder wie »Die Gänserupferinnen« stießen in konservativen Kreisen auf Ablehnung.
Bei dem »Jesus«-Gemälde wirkte das religiöse Thema als zusätzliche Provokation. Liebermann verlegte die Szene in einen Synagogenraum, die Schriftgelehrten sind Rabbiner in sephardischen Gewändern, der Knabe Jesus ist eindeutig ein jüdisches Kind. Martin Fass: »Das reichte, um die Leute auf die Barrikaden zu bringen.«
1879 wurde das Gemälde erstmals in einer Ausstellung im Glaspalast in München gezeigt. Die Kritik sah die christliche Religion durch die realistische Darstellung herabgewürdigt. Dass der Maler zudem selbst Jude war, erzürnte die Besucher umso mehr. Die Leserbriefe, die in der Ausstellung zitiert sind, sprechen eine deutliche Sprache: Liebermann zeige »schmierige Schacherjuden«, sein Bild sei »ekelerregend«, Gottes Sohn werde als »Judenbengel« diffamiert, sein Bild sei eine »Verhöhnung des Heilands«, eine »Gotteslästerung« gar.
Dabei griff Liebermann im Grunde nur eine Diskussion jüdischer Historiker des 19. Jahrhunderts auf. Sie sahen in Jesus den Vertreter eines fortschrittlichen Pharisäertums. So richtete sich die empörte Kritik vor allem von Vertretern der Kirchen zugleich gegen das liberale Judentum und seinen Versuch einer Neubewertung und Aneignung der Person Jesu. Für Kurator Martin Fass ist die heftige Reaktion auf das Bild Ausdruck eines sich offen äußernden Antisemitismus, der sich im späteren Kaiserreich noch verstärken sollte.
Max Liebermann sah sich schließlich gezwungen, die ursprüngliche Fassung zu übermalen und die Gestalt des Jesus zu verändern. In dieser überarbeiteten Version gelangte das Bild schließlich 1884 in den Besitz Fritz von Udes und wurde nach dessen Tod von Alfred Lichtwark, dem Direktor der Hamburger Kunsthalle und Freund Liebermanns als ein Hauptwerk angekauft. Liebermann seinerseits zog aus dem Wirbel um sein Bild die Konsequenz, dass er fortan religiöse Themen mied.
Die Ausstellung »Der Jesus-Skandal – Ein Liebermann-Bild im Kreuzfeuer der Kritik« ist vom 22. November bis 1. März in der Liebermann-Villa am Wannsee in Berlin, täglich außer dienstags von 10 bis 17 Uhr zu sehen.
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