»Von der Justiz bis zur Kultur«
Außenminister Westerwelle in Moskau / Plädoyer für vertiefte Kooperation mit Russland
Für halbe Sachen ist Guido Westerwelle nicht zu haben. Kompromisslos ging der neue Bundesaußenminister daher auch bei seinem Antrittsbesuch in Moskau am Freitag die deutsch-russischen Beziehungen an. »Ohne Wenn und Aber: Wir wollen eine strategische Partnerschaft mit Russland«, sagte der FDP-Politiker gleich zu Beginn seiner Konsultationen mit dem Amtskollegen Sergej Lawrow im Gästehaus des russischen Außenamtes. »Wir wollen mehr sein als nur gute Handels- und Wirtschaftspartner. Wir wollen von der Justiz bis zur Kultur mehr zusammenarbeiten und die Freundschaft zwischen unseren beiden Völkern vertiefen.«
Entsprechend vollgepackt war auch Westerwelles Agenda. Nach einem längerem Gespräch mit Gastgeber Lawrow und gemeinsamer Pressebegegnung traf er im Kreml mit Präsident Dmitri Medwedjew zusammen. Im Vordergrund standen bei beiden Gesprächen der von Medwedjew bei dessen Antrittsbesuch in Berlin im Juni 2008 vorgeschlagene europäische Sicherheitsvertrag, Bemühungen um einen Neustart der Beziehungen Russland-NATO und eine gegenseitig vorteilhafte Zusammenarbeit im Format Russland-EU. Dabei stellten beiden Seiten ein hohes Maß an Übereinstimmung bei nahezu allen Problemen der internationalen Politik fest: Von der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise, wo beide sich im Rahmen der G20-Gruppe aktiv in die Reform des internationalen Finanzsystems einbringen wollen, über Abrüstung und Rüstungskontrolle bis hin zu Irans Kernforschungsprogramm und der Situation in Afghanistan.
Lawrow und Westerwelle hatten am Donnerstag gemeinsam der Vereidigung von Afghanistans Präsident Hamid Karsai für eine neue Amtszeit beigewohnt und ihren Meinungsaustausch dazu bereits in Kabul begonnen. Richtigen Worten Karsais müssten jetzt auch Taten folgen, so Lawrow. Er bezog sich dabei offenbar auf die Ankündigung, Afghanistan werde in fünf Jahren in der Lage sein, selbst für seine Sicherheit zu sorgen. Nochmals erneuerte der Chefdiplomat dabei das Angebot Russlands und des von Moskau dominierten Verteidigungsbündnisses der UdSSR-Nachfolgegemeinschaft GUS, die Zusammenarbeit mit der NATO in ganz Zentralasien auf eine breitere Grundlage zu stellen und Erfahrungen aus Moskaus Afghanistankrieg zu nutzen. Ziel sei eine gemeinsame neue Strategie. Details sollen Anfang Dezember auf einer Ministerkonferenz des Russland-NATO-Rates erörtert werden.
Ohne Russland, lobte Westerwelle, seien weder am Hindukusch noch beim Thema Iran Fortschritte möglich. Bei den Gastgebern dagegen kam gut an, dass Westerwelle Bereitschaft signalisierte, die Anpassungen des KSE-Abkommens zu konventionellen Streitkräften in Europa zu ratifizieren. Sie sollen das Ungleichgewicht beseitigen, das nach dem Ende des Warschauer Vertrags zugunsten des Westens entstand. Weil die NATO sich bisher sperrte, hatte Russland das Abkommen Ende 2007 per Moratorium ausgesetzt.
Nach den Begegnungen mit Medwedjew und Lawrow traf Westerwelle am Nachmittag in der Residenz des deutschen Botschafters in Moskau Vertreter der russischen Zivilgesellschaft. Für hiesige Beobachter ein deutlicher Hinweis, dass auch die neue, schwarz-gelbe Bundesregierung die innenpolitischen Entwicklungen in Russland aufmerksam verfolgt und dazu den direkten Dialog mit Regimekritikern sucht.
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