»Alle haben Angst vor den Soldaten«

Vor der Wahlfarce in Honduras rechnet die Widerstandsbewegung mit allen Szenarien und ruft dennoch zum Boykott auf

  • Kathrin Zeiske, Tegucigalpa
  • Lesedauer: 7 Min.
Der Wahltermin 29. November wurde schon lange vor dem Putsch in Honduras Ende Juni festgelegt. Die Putschregierung hält daran fest, vereitelte jedoch die Rückkehr des rechtmäßigen Präsidenten Manuel »Mel« Zelaya ins Amt. Die Repression im Lande ist ungebrochen; aber auch die Widerstandsbewegung zeigt sich entschlossen. Ein Stimmungsbild aus der Hauptstadt von Honduras.

Es herrscht Ruhe vor dem Sturm. Eine unheimliche Ruhe. Außer vereinzelten Militärfahrzeugen auf den Straßen und ungezählten Graffitis der Widerstandsbewegung an den Häuserwänden scheint nichts darauf hinzuweisen, dass das Land einen Militärcoup hinter sich hat. Nur ab und an meldet sich Roberto Micheletti, der von den Putschisten als Präsident eingesetzt wurde, über alle Fernseh- und Radiokanäle zu Wort und betont mit eindringlicher Stimme den demokratischen Wert der bevorstehenden Wahlen: »Jeder, der nicht wählen geht, gibt seine Stimme Hugo Chávez.«

Auf den putschloyalen Fernsehkanälen laufen dieser Tage fröhliche Wahlwerbespots. Porfirio »Pepe« Lobo von der Nationalen Partei (PNH) und Elvin Santos Lozano von der Liberalen Partei (PLH) mitsamt ihren Gattinnen besuchen eines der marginalisierten Viertel, aus denen die Hauptstadt Tegucigalpa zu einem Großteil besteht. Hinter ihnen füllt eine fahnenschwenkende Menge die Straße. Die Kandidaten schütteln alten Menschen die Hände und streichen kleinen Kindern über den Kopf. »Mit uns kommt der Wechsel!« und »Gemeinsam gegen die Armut!« heißen die Parolen.

Abartige Werbespots für eine absurde Wahl

»Die Werbespots sind eine Farce; sie machen sich über das honduranische Volk lustig und sind eine Beleidigung für jeden kritisch denkenden Menschen«, empört sich Tania Espinal, aktives Mitglied der sozialdemokratischen Partei PINU. »Schließlich handelt es sich nicht einfach um absurde Erklärungen. Zu freien Wahlen in einer Diktatur aufzurufen, ist an und für sich abartig.« Mit ihren Freunden trifft sie sich wie so oft im alternativen Café Cinefilia im Viertel Palmiras. Die brasilianische Botschaft, in der sich der rechtmäßige Präsident Manuel »Mel« Zelaya nach wie vor aufhält, ist keine 100 Meter Luftlinie entfernt, doch die Straßen, die dorthin führen, sind mittlerweile abgeriegelt. »Hier kann ich mal entspannen«, erzählt die junge Frau mit den glatten braunen Haaren seufzend. »Meine Chefin ist wie fast alle Führungskräfte auf Seiten der Putschisten. Oft kann ich nicht an Demonstrationen teilnehmen, weil sie mir absichtlich nicht frei gibt.«

Konsens unter vielen: Nein zu den Wahlen!

Im Armenviertel Centroamerica, dessen Häuser gleichsam überein-ander an einen Hang gebaut wurden, braucht niemand einen Treffpunkt, um sich gegen die Putschregierung zu empören. Hier zählen sich die meisten zur Widerstandsbewegung, und der Boykott der Wahlen ist stets Thema an den Straßenständen, wo die traditionellen Baleadas, mit Bohnen und Käse gefüllte Weizenfladen, verkauft werden. »Dein Cousin ist Putschanhänger? Ja, was denkt der sich denn; er ist doch kein Reicher!«, ruft ein hagerer Mann in löchrigem T-Shirt aus. »Früher haben wir die gewählt, die das meiste Geld auf dem Konto hatten und die größten Lügen erzählt haben, aber das zieht doch heute nicht mehr«, bestätigt sein Gegenüber.

»Nur die Putschisten haben Interesse an dieser Wahl, denn es ist ihre Chance, sich an der Macht zu halten«, sagt Ana Robles, die als Grundschullehrerin jeden Morgen in ein kleines Dorf an der Überlandstraße nach Comayagua hinausfährt. »Hier in der Hauptstadt wohnen die Reichen und viele unterstützen den Putsch. Aber auf dem Land gibt es keinen Strom und kein fließendes Wasser, die Kinder in meiner Klasse tragen keine Schuhe. Dort sind alle Anhänger von Mel«, berichtet sie. »Am liebsten würden die Dorfbewohner die Urnen abfackeln, die jetzt in den Schulen aufgestellt werden, aber alle haben Angst vor den Soldaten. Die können schließlich machen, was sie wollen«, schließt sie deprimiert.

Da in Honduras schon Schulferien sind, geht Ana jeden Morgen zur Versammlung der Widerstandsbewegung vor dem Kongress im Zentrum der Hauptstadt. Die Eingänge zum Parlament sind von Polizeiketten versperrt, der Platz davor ist von Menschen gefüllt. Viele kennen sich und grüßen einander; immerhin ist man seit fünf Monaten gemeinsam auf der Straße. »An Feiertagen und Sonntagen gibt es große Demonstrationen, aber während der Woche versammeln wir uns lieber hier, das ist sicherer«, erklärt Victoria, die als Aushilfe an einer Universität arbeitet. »In den Straßen schlagen die Soldaten wie Tiere auf uns ein. Sie machen selbst vor schwangeren Frauen nicht halt. Und immer wieder erschießen sie willkürlich einen Demonstranten, um Angst zu schüren.«

Auf dem Platz vor dem Kongress stehen auch ältere Menschen in der Menge. »Ich habe so lange unter Militärdiktaturen gelebt, ich will so etwas nicht erneut haben«, sagt ein Mann mit schlohweißen Haaren und sonnengegerbter Haut. Viele der Demonstranten recken ihre Hände in die Höhe. Sie haben sich mit Filzstift »No« auf die Handfläche gemalt und eine Fingerspitze geschwärzt; so wie üblicherweise jemand gekennzeichnet ist, der gewählt hat. »Nein zu den Wahlen!«, das ist auch hier der Konsens.

»Kongress, wenn du keine Zeit hast, das Land aus der Krise zu führen, haben wir auch keine Zeit, dich zu wählen«, steht auf der Rückseite einer zerschnittenen Cornflakes-Packung, die ein Mann mit Schnurrbart hochhält. Die Widerstandsbewegung hat keine ausgearbeiteten Transparente, aber die Leute tragen ihre Meinung auf die Straße, wie sie können. »Das hier sind die Putschisten« steht in Handschrift über einem Plakat, das jemand am Eisenzaun vor der Kirche La Merced aufgehängt hat. Darauf sind Fotos von Unternehmern und Politikern geklebt, fein säuberlich aus den Gesellschaftsseiten der Zeitungen ausgeschnitten. »Korrupt« und »Vaterlandsverkäufer« steht daneben. Ein Mann erklärt einem Freund anhand des Plakats, welcher Unternehmer in welcher Partei kandidiert und welcher Politiker welche Tageszeitung besitzt.

Eines der wenigen Medien, das nicht Eigentum der politischen Kaste ist und nur putschloyale Nachrichten verbreitet, ist Radio Globo. Von der Prachtstraße Tegucigalpas aus, dem Boulevard Francisco Morazán, sendet es zwischen McDonald's, Burger King und exquisiten Einrichtungshäusern alternative Informationen und gibt dem Widerstand eine Stimme.

Heute leitete die Präsidentin des Zentralamerikanischen Parlaments (Parlacen), Gloria Guadalupe Oquelí, die Sendung ein. »Honduras, halte durch! 145 Tage befinden wir uns nun schon im Widerstand gegen die Putschisten!« Danach sprechen ein paar Compañeros aus Olancho, die angereist sind, um von zwei politischen Morden des Vortags zu berichten.

Auch die Redakteure von Radio Globo sind von Repressalien betroffen. »Am Tag des Putsches stürmte das Militär unser Studio. Einige Mitarbeiter wagten den Sprung in den Hinterhof hinab und konnten fliehen. Alle anderen wurden geschlagen und abgeführt. Der Chefredakteur lebt seitdem im Untergrund«, erzählt Radioreporter Juan Fernando Gonzalez. Doch sie haben weitergemacht. Manchmal wird ihre Frequenz blockiert, aber immer wieder sind sie auf Sendung. »Pressefreiheit? Nein, die existiert in Honduras nicht mehr. Wir verlassen stets mit einem mulmigen Gefühl das Gebäude und hoffen, heil nach Hause zu kommen.«

Der Putsch hat einst Liberale radikalisiert

Nach der Sendung wird diskutiert. Die meisten ordnen sich als ehemalige Liberale ein, doch der Putsch hat sie radikalisiert. Em-pört sind die Journalisten über ehemalige internationale Verbündete. »Christian Lüth von der deutschen Friedrich-Naumann-Stiftung hat diese Woche bei einem Fernsehauftritt den Putsch als ›politische Transition‹ verbrämt und bekräftigt, dass diese Wahlen freiheitlich stattfinden würden. Das ist eine unglaubliche Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Honduras.«

Vor dem Kongress leert sich langsam der Platz. »Morgen kommen wir wieder«, sagt die Universitätsangestellte Victoria und streicht sich müde durchs Haar. »Von einem Tag auf den anderen gibt es nun mal keinen politischen Umschwung«, lächelt sie. »Natürlich geht es nach den Wahlen weiter, dies ist erst der Anfang«, bestätigt auch die Lehrerin Ana. Was am Tag der Wahlen passieren wird, wollen sie sich lieber nicht ausmalen. »Letzte Woche hat das Militär angeblich Bomben entdeckt und sie dem Widerstand zugeschoben. Damit wollen sie wohl vorab Repressalien rechtfertigen. Vielleicht wird die Polizei angesichts der Anwesenheit internationaler Wahlbeobachter nicht schießen, aber mit Sicherheit werden Todesschwadronen unterwegs sein.«

Tania Espinal ist wieder auf dem Weg ins Café Cinefilia. Sie schließt einen Wahlbetrug nicht aus. »Die Putschisten haben den gesamten Staatsapparat zur Verfügung, um zu manipulieren. Niemand inszeniert einen Staatsstreich, um fünf Monate später die Macht wieder abzugeben«, sagt sie. »Die Menschenrechtsverletzungen des Militärs und der Bruch der demokratischen Ordnung werden ungeahndet bleiben. All die Demonstranten, denen Militärs willkürlich die Arme gebrochen haben, Frauen aus der Widerstandsbewegung, die vergewaltigt wurden, Männer, denen man in Gefangenschaft am ganzen Körper Zigaretten ausgedrückt hat, die Belagerung des diplomatischen Sitzes von Brasilien, die Ausgangssperren, all das wird nach den sogenannten Wahlen kein Thema mehr sein.«

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