Weg vom Gießkannenprinzip

  • Özcan Mutlu
  • Lesedauer: 4 Min.
Weg vom Gießkannenprinzip

Als Schule mit »Deutsch-Garantie« gelang es der Gustav-Falke-Schule in Berlin-Wedding, ein bundesweites Medienecho zu erzeugen. Deutsch in einer Grundschule in der deutschen Hauptstadt ist doch eine Selbstverständlichkeit, mögen manche denken. Wenn Eltern scharenweise umziehen, sobald ihre Kinder ins Einschulungsalter kommen oder, wenn Eltern mit Scheinadressen sich um die Schule ihres Einschulungsbereiches mogeln, bröckelt eben das, was als Selbstverständlichkeit gelten müsste. Wenn zu allem Übel deutsche Eltern ihre Kinder aus der Schule nehmen, weil ihnen der Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund oder »Ausländeranteil« im konservativen Deutsch in den Klassen zu hoch ist, fangen Schulen an zu kippen oder um die verbleibenden Kinder aus bildungsbewussten Elternhäusern zu kämpfen. Manchmal kämpfen sie mit Erfolg, wie das Beispiel der Gustav-Falke-Schule zeigt.

Die Schule im sozialschwachen Wedding mit hohem Migrantenanteil, machte sich auf den Weg, im angrenzenden Stadtteil dem Alt-Bezirk Mitte, um deutsche Eltern aus der Mittelschicht zu buhlen. Für diese Kinder sollte eine Deutsch-Modellklasse mit niedriger Klassenfrequenz, Englisch ab der ersten Klasse und dem Schwerpunkt Naturwissenschaften eingerichtet werden. Einziges Aufnahmekriterium: sehr gute Deutschkenntnisse, für 50 Prozent Plätze gar unabhängig von der Herkunft der Schüler.

Manche Kritiker bemühten daraufhin die Rassismuskeule und warnten vor Diskriminierung. Dabei ist es eine Binsenwahrheit, dass deutsche Kinder und bildungsnahe Familien mit deutscher Herkunft die Kieze stabilisieren können. Zugleich treffen die Kinder täglich aufeinander, auf dem Schulhof, auf dem Spielplatz oder schlicht auf der Straße und haben die Möglichkeit, sich sprachlich auszutauschen und im besten Falle gar voneinander zu lernen. Kann man dagegen sein? Ich meine nicht, im Gegenteil!

Wir werden in Zukunft mehr solcher Modelle benötigen. Wir werden darauf angewiesen sein, dass sich Schulen mit ihrer Schulleitung und ihrem Kollegium innovative Modelle überlegen müssen, um auf die örtlichen Problemlagen zu reagieren und als Bildungseinrichtungen überleben zu können. Aufgabe der Schulträger vor Ort und der Schulaufsicht muss es daher sein, einerseits den Schulen entsprechende Freiheiten zu geben und anderseits die Schulen auf ihrem Weg zu stützen. Auch stellt sich die Frage der Neuverteilung der Mittel. Eine Schule in Wedding, Kreuzberg, Nord-Neukölln oder Marzahn hat eben mit anderen Problem zu kämpfen als manch eine Schule in einem gutsituierten Berliner Bezirk. Für mich heißt das: weg vom dem Gießkannenprinzip, hin zu einer finanziell stärkeren und gezielten Förderung der Problembezirke. Hier etwas Sprachfördermittel, dort etwas mehr Sozialzuschläge reichen eben nicht aus. Berlin braucht eine flächendeckende Qualitäts-, Sprach-, und Fortbildungsoffensive.

Die demografische Entwicklung zwingt uns dazu, uns von dem Irrglauben einer vorwiegend monolingual geprägten Schule zu verabschieden. Wie groß der Handlungsbedarf vor Ort in den Schulen ist, lässt sich inzwischen an der Zusammensetzung vieler Klassen ablesen. Der durchschnittliche Anteil der »SchülerInnen nichtdeutscher Herkunftssprachen« – wie die Kinder aus Migrantenfamilien kategorisiert werden – beträgt z. B. in Nord-Neukölln mehr als 70 Prozent, Tendenz steigend. An Hauptschulen sogar 80 Prozent und mehr.

Einerseits zeigt sich in den Schulen, wie unsinnig die Trennung in »Deutsche« und »Ausländer« war – schließlich sind die sogenannten Ausländer fast ausnahmslos selbst in Deutschland geboren. Andererseits zementiert die »ungute« Schülermischung die Trennung zwischen »Biodeutschen« und den »Bildungsinländern«. Bis 1995 versuchte das Berliner Schulgesetz dem etwas entgegenzusetzen: Maximal 35 Prozent durfte der Anteil von Kindern nichtdeutscher Herkunftssprache in den Klassen sein. Daneben gab es die Ausländerregelklasse – eine monoethnische Enklave »ausländischer« SchülerInnen. Die »ausländischen« Schüler blieben unter sich. Es gab für sie so gut wie keine Möglichkeiten, mit »deutschen« Schülern oder der deutschen Sprache in Berührung zu kommen.

Die Folgen waren dramatisch: Das Deutsch verbleibt auf einem gesprochenen Niveau; »Kanaksprak« ist die Folge, das sogar inzwischen von Deutschmuttersprachlern genutzt wird. Die betreffenden Jugendlichen verlassen die Oberschule, wenn überhaupt nur mit einem Hauptschulabschluss. Damit haben sie erhebliche Schwierigkeiten, einen Arbeitsplatz geschweige denn einen Ausbildungsplatz zu finden. Bei den diesbezüglich geführten Diskursen wird oft vergessen, dass die Arbeitslosigkeit beispielsweise unter jungen TürkInnen in Berlin bereits 50 Prozent beträgt. Subjektiv empfinden Jugendliche ihre Erfolglosigkeit auch als Ausgrenzung – nicht wenige wenden sich im Ergebnis zurück in die Nischen der Herkunftskultur.

Es stellt sich daher die Frage, ob es nicht wieder an der Zeit ist, Quoten einzufordern – Quoten für deutschstämmige Kinder wohlgemerkt. Jede Schulklasse müsste mindestens zu 35 Prozent aus deutschstämmigen Kindern bestehen. Das wäre eine Mindestvoraussetzung dafür, dass alle Seiten von der Mischung profitieren. Sicherlich ist eine 35 Prozent-Mischung in den Schulen kein Garant für den Bildungserfolg oder für eine erfolgreiche Integration, aber ohne Bildung ist jede Integrationsbemühung oft für die Katz!

Özcan Mutlu, 1968 in Kelkit (Türkei) geboren, ist bildungspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Dort vertritt der studierte Elektrotechniker seit 1999 den Bezirk Friedrichshain-Kreutzberg. Außerdem ist Özcan Mutlu Mitglied im Ausschuss Bildung, Jugend und Familie.

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