Leichtfüßige und lässige Klänge

Die neue »German Jazz Trophy«-Preisträgerin Carla Bley spielt im Babylon-Mitte

  • Antje Rößler
  • Lesedauer: 3 Min.
Blonder Bob am Klavier
Blonder Bob am Klavier

Los geht es mit einem Kinderlied, das sie mit dem rechten Zeigefinger in die weißen Tasten des Flügels hackt. Für Carla Bley hat Jazz nichts mit Virtuosität zu tun; das schlichte Dreitonmotiv des Liedchens erweist sich als Keimzelle für harmonische Erkundungsreisen und pulsierende Rhythmen.

Ein Kinderlied, warum nicht? Schließlich hat die 71-jährige klavierspielende Komponistin schon alles Mögliche ausprobiert: vom Free Jazz über Protest-Rock bis zu Orchesterkompositionen. Zudem stammt aus ihrer Feder die einzige nennenswerte Jazzoper »Escalator over the Hill«. Ganz zutreffend wurde Carla Bley in der FAZ als »monströsestes Chamäleon, das der Jazz kennt« bezeichnet. Am Dienstag nahm die auch hierzulande populäre amerikanische Musikerin in Stuttgart die »German Jazz Trophy« für ihr Lebenswerk entgegen. Aus diesem Anlass trat sie dort mit ihrer aktuellen Band »The Lost Chords« auf; das Preisträgerkonzert wiederholte sie einen Tag später im Berliner Kino Babylon.

Offensichtliche Kontinuität in dieser die Stilgrenzen aufweichenden Karriere ist Carla Bleys hochstehende Bobfrisur, die den hageren, meist in strenges Schwarz gehüllten Körper zum bloßen Anhängsel des Kopfes zu degradieren scheint.

Erst auf den zweiten Blick entdeckt man eine Beständigkeit im Musikalischen: den Reichtum an warmen, beseelten Melodien und Bleys minimalistisches, den Einzelton akzentuierendes Klavierspiel. Als Pianistin erinnert Bley an den großen Thelonius Monk; dessen ruppige Exzentrizität ist bei ihr jedoch in ein entspanntes Understatement überführt.

Die »Lost Chords« sind ein großartig eingespieltes Team, wirken doch E-Bassist Steve Swallow und Saxophonist Andy Sheppard seit nunmehr 20 Jahren in Bleys Formationen mit. Das Quartett bietet lässigen und leichtfüßig swingenden Modern Jazz vom Feinsten. Beweisen muss hier niemand etwas. Hier gibt es keine Gerangel um die Soli und keine Wettkämpfe des Höher-Lauter-Schneller. Stattdessen führen die vier eine hellsichtige Kommunikation und schmiegen ihre Instrumentalklänge sanft ineinander.

Andy Sheppard zaubert am Saxophon einen geschmeidigen, fast flötenartigen Ton hervor, den er zuweilen mit Knarzen und Knistern durchsetzt. Schlagzeuger Billy Drummond webt dazu einen feinen Klangteppich von Impulsen. Die Schwingungen der vier sind wunderbar – musikalisch und emotional.

Aus jahreszeitlichen Gründen soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass Carla Bley vor kurzem ein ebenso schönes wie originelles Weihnachtsalbum veröffentlicht hat: »Carla’s Christmas Carols« in traditioneller Bläserquinett-Besetzung. Nostalgische Anfälle braucht man dieser Künstlerin natürlich nicht zu befürchten. Carla Bley verfremdet die alten Weihnachtsgesänge auf mal groteske, dann wieder ironisierende Art und Weise und verknüpft sie mit allerlei jazzhistorischen Reminiszenzen. Wer des Jingle-Bells-Kitsches überdrüssig ist, dem sei die Platte ans Herz gelegt.

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