Schuften bis zum Umfallen

Vietnamesische Community versucht, sich mit großem Einsatz zu integrieren

  • Antje Stiebitz
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Ergebnis ist schlicht: Integration bereichert unsere Gesellschaft, doch dafür muss investiert werden. MAE-Kräfte seien für eine so schwierige Aufgabe keine Lösung, äußert Tamara Hentschel, Geschäftsführerin des Vereins Reistrommel. Dafür bräuchte man die besten, nicht die billigsten Kräfte.

Im Bürgerzentrum Marzahn-NordWest wurde dieser Tage über die Integration von vietnamesischen Mitbürgern gesprochen. Die Diskussion fand im Rahmen der »Berliner Tage des interkulturellen Dialogs« statt. Bis zum 28. November tauschen sich Berliner mit unterschiedlichen kulturellen, ethnischen und sozialen Lebenshintergründen aus.

Im Stadtteil Marzahn-NordWest leben 22 400 Menschen, davon bilden 1500 die vietnamesische Community. Auffällig, oder besser unauffällig ist ihre Zurückhaltung. »Vielleicht gibt es deswegen auch so wenig Ärger. Viele trauen sich nicht, ihre Bedürfnisse zu äußern, lassen sich Wut und Frust nach außen hin nicht anmerken«, sagt Axel Matthies, Projektleiter des örtlichen Bürgerzentrums.

Den ehemaligen Vertragsarbeitern wurde 1993 das Bleiberecht zugesprochen. Viele von ihnen arbeiten als freiberufliche Händler, führen Restaurants oder Blumenläden. Damit sie die Familie ernähren und Geld nach Hause schicken können, nehmen sie viel auf sich: »Sie beuten sich selbst aus. Die Geschäfte haben sechs bis sieben Tage offen, sie stehen morgens um drei auf und verkaufen bis abends um 19 Uhr«, beschreibt Matthies die Bedingungen. Die Arbeitsbelastung lässt den Eltern wenig Zeit für die Kinder, aber eines vermitteln sie ihnen: Nur mit Bildung gibt es eine Chance. Rund 50 Prozent der vietnamesischen Schüler besuchen ein Gymnasium, viele von ihnen studieren. Doch der Druck sei zu hoch, schildert Hentschel: »Die Mädchen brechen zusammen, denken an Selbstmord.« Die Eltern können die Leistungen der Kinder oft nicht nachvollziehen, dafür sind sie selbst zu wenig integriert. Und die Kinder vollführen einen kulturellen Spagat.

Um die Konflikte zu mildern, engagiert sich der Verein Reistrommel. Das Angebot des Projektes »Gia Dinh« wurde anhand der langjährigen Erfahrungen des Vereins entwickelt. Es unterstützt bei rechtlichen Fragen und Behördengängen. Über Telefon und Internet werden Krisen aufgefangen und Mütter in vietnamesischer Sprache beraten. Doch weitere Hilfe tut Not: »Wir brauchen Familienhelfer, Erzieher und Therapeuten. Gut ausgebildete Leute, die möglichst beide Sprachen sprechen. Doch im Haushalt des Bezirks gibt es kein Geld für Integration«, bemängelt Hentschel.

Noch komplizierter ist die Lage der vietnamesischen Asylbewerber und Illegalen. Sie kommen häufig aus dörflichen Gegenden und haben niedrige Bildungsabschlüsse. Man spreche über sie als Wirtschaftsflüchtlinge, aber das treffe nicht zu, erklärt Hentschel: »Sie flüchten aus politischen Gründen und vor ökologischen Miseren.«

Um nach Deutschland zu gelangen, verschulden sich manche Migranten immens. Werde das geborgte Geld eingetrieben, verkauften sie Zigaretten und arbeiteten schwarz. »Die Verquickung dieser Gruppe mit den Vertragsarbeitern ist schwierig für uns. Wir müssen wissen, was abläuft, sonst können wir nicht helfen«, sagt Tamara Hentschel.

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