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Gentransfer schützt vor Aids

Wie die »evolutionäre Medizin« neue Therapien anregt

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 3 Min.
Viele Menschen streben nach perfekter Gesundheit. Doch erfüllen lässt sich dieser Traum nicht. Denn unser Körper ist ein Produkt der natürlichen Evolution, und manches, was daran schadhaft erscheint, erfüllt eine biologische Funktion.

Warum haben Menschen eigentlich Weisheitszähne? Mag sich der eine oder andere vielleicht fragen. Denn einen wirklichen Zweck erfüllen diese nicht. Das war einmal anders. Unsere Vorfahren, die sich von faserigen Pflanzenknollen und zähem Fleisch ernährten, mussten ihre Nahrung noch intensiv kauen. Erst als Menschen anfingen, ihre Nahrung zu kochen, wurde auch ihr Kauapparat kleiner. Da ihnen die Weisheitszähne aber bei der Fortpflanzung nicht im Wege standen, blieben uns diese Quälgeister erhalten.

Es gibt jedoch andere Relikte aus unserer frühen Vergangenheit, die unsere Gesundheit erheblich mehr beeinträchtigen. Das provoziert die Frage, warum die Evolution jene Merkmale nicht längst beseitigt hat und gleich viele schwere Krankheiten dazu. Nehmen wir als Beispiel die Stoffwechselstörung Mukoviszidose, die heute recht erfolgreich behandelt werden kann, an der aber noch vor Jahrzehnten die meisten Betroffenen im Kindesalter starben. Die Krankheit tritt auf, wenn jemand von beiden Eltern ein bestimmtes mutiertes Gen erbt. Aber nun kommt das Erstaunliche: Wer lediglich eine Kopie jenes Gens besitzt, ist besser geschützt vor Typhus. Folglich hat sich das mutierte Gen besonders dort erhalten, wo früher häufig Typhus vorkam. Inzwischen kennt man auch Genvarianten, die ihre Träger vor Pest, Cholera und Tuberkulose schützen.

Zwar haben diese Seuchen in Europa weitgehend ausgedient. Aber in Afrika oder Asien sind sie nach wie vor gefürchtet. Zudem funktioniert der Genschutz auch bei »modernen« Krankheiten. So tragen Menschen, die gegen das HI-Virus immun sind, ein mutiertes Gen namens CCR5 in sich, das kurioserweise entstand, als es noch gar kein Aids gab. Einige Forscher vermuten daher, dass jene Genvariante ursprünglich ein Schutz vor Pocken war. Wie auch immer. 2008 ist es Ärzten an der Berliner Charité erstmals gelungen, einen HIV-positiven Patienten dadurch zu heilen, dass man ihm Knochenmark von einem Spender mit mutiertem CCR5-Gen übertrug.

Die dabei angewandte »evolutionäre Medizin« hat trotz ihrer relativen Neuheit bereits viele wichtige Erkenntnisse erbracht. Da hier der Platz fehlt, diese allesamt darzustellen, sei dem Leser dazu ein höchst lehrreiches Buch von Detlev Ganten, Thomas Deichmann und Thilo Spahl empfohlen, das den hübschen Titel trägt: »Die Steinzeit steckt uns in den Knochen« (Piper, 335 S., 19,95 Euro).

Apropos Knochen. Dass Menschen ein Rückgrat besitzen, zumindest anatomisch gesehen, gilt als heikler evolutionärer Kompromiss. Denn anders als vierbeinige Wesen verlagert der Mensch sein Gewicht einseitig auf die Nackenwirbel und die untere Wirbelsäule. Beide Bereiche werden dadurch stark belastet – mit dem Resultat, dass heute sieben von zehn Deutsche über Rückenschmerzen klagen. Allerdings wäre es zu billig, die Schuld daran allein der Evolution zu geben. Unsere Wirbelsäule wurde nämlich geformt, als die Vorfahren des modernen Menschen vor allem eins taten: laufen, laufen, laufen. Das heißt, wer seinen Rücken schmerzfrei halten möchte, sollte sich einfach mehr bewegen statt alle Dinge mit dem Auto zu erledigen und abends vor dem Fernseher zu sitzen.

Und wie steht es mit dem Essen? Obwohl der Streit um die richtige Ernährung einem ideologischen Grabenkampf gleicht, ist eines unbestritten: Die längste Zeit ihrer Geschichte hatten die Menschen zu wenig Nahrung und stopften deshalb vorsorglich alles in sich hinein, was sie finden konnten. Dieses Verhalten ist heute kontraproduktiv und Ursache für Übergewicht und zahlreiche Zivilisationskrankheiten. Auch deshalb suchen immer mehr Europäer ihr Heil im Fasten. Aus der Sicht der evolutionären Medizin spricht nichts dagegen. Im Gegenteil. Wer weniger isst, so legen Studien nahe, lebt im Schnitt länger. Hinzu kommt: Was wir in Europa zu viel an Nahrungsmitteln verbrauchen, könnte anderswo auf der Welt helfen, den nackten Hunger zu bekämpfen.

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