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HIV-Neuinfektionen in Osteuropa steigen

Fragen an Carolin Vierneisel, Deutsche Aids-Hilfe

  • Lesedauer: 3 Min.

ND: Die HIV-Neuinfektionen nehmen weltweit ab, in Osteuropa nehmen sie stetig zu. Woran liegt das?
Vierneisel: Ein jetzt von UNAIDS veröffentlichtes Update zur weltweiten Situation von HIV und Aids besagt, dass in Osteuropa erstmals seit vielen Jahren ein geringerer Zuwachs an Neuinfektionen zu verzeichnen ist. Ob das eine Kehrtwende darstellt, ist noch nicht abzuschätzen. Dass die Region aber weiter unsere spezielle Aufmerksamkeit verlangt, zeigen die immer noch gravierend hohen HIV-Prävalenzraten von über einem Prozent in Ländern wie Russland oder der Ukraine.

Intravenöser Drogenkonsum hat in den östlichen Regionen in den letzten 20 Jahren stark zugenommen. Zu einer Hauptbetroffenengruppe für HIV wurden Drogenkonsumierende durch die schlechten sozialen und gesundheitlichen Rahmenbedingungen für Drogenkonsum und die meist verzögert bzw. gar nicht stattfindende Reaktion der Gesundheitssysteme auf diese Herausforderung. Dieses Fehlen an darauf abzielende HIV-Prävention führte dazu, dass sich HIV unter anderem über die Sexualpartner der Drogenkonsumierenden in der Allgemeinbevölkerung ausbreiten konnte.

Also existiert ein Zusammenhang zwischen hohen Infektionszahlen und sozialen Verhältnissen in Osteuropa?
Zum einen sind es nicht gut ausgebaute und vertikal ausgerichtete Gesundheitssysteme, die die Region allgemein im Umgang mit Erkrankungen schwächen. Dies wurde auch beim explosionsartigen Ausbruch der neuen Influenza in der Westukraine deutlich. Zum anderen sind auch in Osteuropa die Gruppen der Drogengebrauchenden, Sexarbeitenden; Männer, die Sex mit Männern haben, und sozial Marginalisierten am stärksten von HIV betroffen.

Welche Bedeutung hat die mangelnde Umsetzung der Menschenrechte?
Die Nicht-Gewährleistung von Menschenrechten ist einer der elementaren Punkte bei der Ausbreitung von HIV. Wenn ich als Mann nicht öffentlich dazu stehen kann, Sex mit Männern zu haben, finden meine sexuellen Kontakte natürlich eher in einem Umfeld statt, in dem Safer Sex weniger leicht zu praktizieren ist. Das Gleiche gilt auch für Sexarbeitende und Drogengebrauchende, die oft Repressionen der Polizei ausgesetzt sind.

Was ist dieser Entwicklung entgegenzusetzen?
Genau wie in Deutschland seit 25 Jahren auch, ist es notwendig, HIV-Prävention und Interessensvertretung und Menschenrechtsarbeit für die betroffenen Gruppen zusammenzudenken. Bei der Deutschen Aids-Hilfe setzen wir auf strukturelle Prävention. Das heißt, dass wir nicht nur auf Verhaltensänderung hinarbeiten, sondern auch die Strukturen angehen, die ein gesundheitsorientiertes Verhalten erschweren oder unmöglich machen. Eine saubere Spritze hilft mir als Drogenkonsumentin eben nichts, wenn ich für deren Besitz von der Polizei inhaftiert werde. Wichtig bleibt, dass jedes Land seinen eigenen Weg finden muss. Was in Deutschland zu den heute europaweit niedrigsten Neuinfektionen geführt hat, muss so nicht zwangsläufig auch in anderen Ländern funktionieren.

Reicht es, osteuropäische Länder einzig mit mehr finanziellen Ressourcen auszustatten?
Wir vertreten den Ansatz, dass in einem Austausch zwischen verschiedenen Ländern alle Seiten voneinander lernen können. Das heißt nicht, Konzepte blind zu übernehmen. Jedoch bieten bewährte Ansätze eine praktische Grundlage, anhand derer dann eigene Modelle diskutiert und entwickelt werden können. Wir sehen in der internationalen Zusammenarbeit unsere Aufgabe darin, unsere Partner in Osteuropa genau darin zu unterstützen, nämlich eigene Konzepte und Ansätze zu entwickeln.

Fragen: Markus Bernhardt

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