Harfenspieler statt Mauerspecht

Mauer-Happenings West-Berliner Künstler dokumentiert die Galerie Exile

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.

Vom Osten aus wurde die Mauer gebaut, vom Westen aus wurde sie bespielt. An eine poetische Intervention des Künstlerduos Per Lüke und Wieland Speck aus dem Jahre 1978 erinnert eine Ausstellung in der Kreuzberger Galerie Exile.

Am 13. August 1978 erkletterte Per Lüke mit einer Harfe die Berliner Mauer im Abschnitt Wolliner Straße. Er setzte sich rittlings auf das dort tatsächlich noch gemauerte und nicht in Beton gegossene Trennungsbauwerk und spielte zur Freude der Personen, die auf der Aussichtsplattform der Westseite Platz genommen hatten, ein Ständchen. Die Grenztruppen verhielten sich abwartend. Die Westberliner Polizei forderte hingegen zum Beenden der Aktion auf. Wieland Speck hielt den ganzen Ablauf mit seiner Kamera fest. Der amüsante Film ist in der Ausstellung zu sehen.

Gewissermaßen die Gegenschuss-Perspektive bilden die Akten des MfS, in denen der Vorfall und die weiteren Ermittlungen geschildert werden. Fünf Fotos zeigen Lüke auf der Mauer. Sie dokumentieren aber auch, wie das MfS hinter Speck her war und sein Auto und seine Wohnung fotografierte. Aufgrund eines Informationsfehlers glaubte das MfS nämlich, der Mann auf der Mauer sei Speck gewesen. Die Ost-Agenten hatten die Personenfeststellung der Westberliner Polizei einfach übernommen, ohne sie zu prüfen. Das macht darauf aufmerksam, wie gefährdet künstlerische Autorenschaft sein kann, wenn sich kunstferne Instanzen in den Prozess einschalten. Der Vorfall legt aber auch nahe, dass man Geheimdienstakten nur bedingt Glauben schenken sollte.

In der Galerie sind Film, Fotos und Aktenkopien sorgfältig arrangiert. Die Fotos kleben in einem kargen Raum auf abgeschabten Wänden. Im benachbarten Projektraum befindet sich nur ein Schreibtisch, der direkt aus der Normannenstraße zu stammen scheint. Darauf liegen die Akten.

Im Obergeschoss ist parallel zu der von Wieland Speck veranlassten Rekonstruktion der Harfenspieler-Aktion ein 1992/93 entstandener Film der Videokünstlerin Shelly Silver zu sehen. Die US-Amerikanerin hat darin Ost- wie Westberliner zum noch gar nicht so lange zurück liegenden Mauerfall befragt. Interessanterweise kamen für viele der Befragten die nachfolgenden Ereignisse zu schnell. Mauerfall ja, Wiedervereinigung eher noch nicht – auf diese Tendenz lassen sich die Aussagen vieler Ost-Berliner verdichten.

Silvers Film »Former East/ Former West« tritt damit in einen beachtlichen Kontrast zu den offiziellen Feierlichkeiten anlässlich der auf die Marke »friedliche Revolution« verkürzten Ereignisse. Der aus 180 Stunden Material komponierte Dokumentarfilm ist näher an den privaten Erinnerungen an diese Zeit. Er schärft das Bewusstsein dafür, dass das mediale Flächenbombardement der letzten Wochen nur einen winzigen und zudem geglätteten Ausschnitt beinhaltet.

Als Ermunterung für das eigene Erinnerungsvermögen ist »Former East/Former West« unbedingt zu empfehlen. Als Beitrag zum Problem von Autorenschaft und Verlässlichkeit von Information ist Specks Installation erstklassig.

Galerie Exile, Alexandrinenstraße 4, bis 5.12., Do.-Sa. 12-18 Uhr

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