Mein Arndt, dein Arndt
Der Greifswalder Uni-Namensstreit steuert auf den Höhepunkt zu
Es dürfte selten vorkommen, dass sich eine studentische Initiative, hinter der in wichtigen Teilen der CDU-nahe Ring Christlich-demokratischer Studenten (RCDS) steht, mit dem Zuspruch eines früheren Exponenten der sonst als »Unrechtsstaat« apostrophierten DDR schmückt. Aber dies ist ein solcher Fall. Der Beitrag von »Herrn Dr. Hartmut Bräsel« wird auf der Internetseite der Initiative »Pro Arndt« gleich zu Beginn mit einigem Stolz angekündigt – mit Biografie des Autors: »Zwischen 1966 und 1990 war er als Diplomat der DDR in Indien, Pakistan, New York und Afghanistan eingesetzt, u. a. als letzter Geschäftsträger der DDR-Botschaft in Kabul.«
»Liebe Studentinnen und Studenten der Pro-Arndt-Gruppe«, schreibt Bräsel, »als ehemaliger Student der Ernst-Moritz-Arndt-Universität unterstütze ich Ihre Initiative zum Erhalt der Universitätsnamens.«
Harte Bandagen im Krieg der Zitate
Der ist nämlich umstritten, und das nicht erst seit gestern. Schon Anfang des Jahrzehnts hatte es eine professorale Initiative gegeben, die den Namen ablegen wollte, vor Jahresfrist hat eine studentische Gruppe sich mit viel Elan erneut an die Arbeit gemacht. Im Sommer stimmte eine studentische Vollversammlung mit großer Mehrheit gegen Arndt, studentische Gremien sind seither aufgefordert, das Arndt-Logo nicht mehr zu verwenden. Nach einer Unterschriftensammlung, die über 1400 Stimmen gegen Arndt brachte, steht nun eine Urabstimmung der Studenten ins Haus; es ist die erste in der Geschichte der zu Schwedenzeiten gegründeten Universität. In exakt 40 Tagen sollen die Studierenden der Uni entscheiden – und nun hat ein veritabler Wahlkampf begonnen.
Auch an der Greifswalder Uni wird im Moment gestreikt, demonstriert, es wurde sogar schon eine Kreuzung besetzt, um den Autofahrern den »Bildungsstau« vor Augen zu führen. Dennoch ist momentan der rein ideologische Namensstreit dabei, die Nummer Eins auf der studentischen Agenda zu werden. Dass das so ist, liegt unter anderem am Wirken des Geschichtsstudenten Sebastian Jabbusch. Er gehört zu den Vorkämpfern der Initiative »Uni ohne Arndt« – und ist zweifelsfrei ein PR-Genie. Vor einigen Monaten etwa hat sich Jabbusch verkleidet in die Greifswalder Innenstadt gestellt und ausgewählte Arndt-Zitate deklamiert. Irritierte Passanten riefen die Polizei.
Seither haben Jabbusch und seine Initiative, die auch hinter der Vollversammlung im Sommer standen, ihren Arndt-Zitateschatz noch ausgedehnt und ins Internet gestellt. Es sind eindrückliche Hasspredigten darunter: »Man sollte die Einfuhr der Juden aus der Fremde in Deutschland schlechterdings verbieten und hindern. (...) Die Juden als Juden passen nicht in diese Welt und in diese Staaten hinein, und darum will ich nicht, dass sie auf eine ungebührliche Weise in Deutschland vermehrt werden. (...) Ich will es aber auch deswegen nicht, weil sie ein durchaus fremdes Volk sind und weil ich den germanischen Stamm so sehr als möglich von fremdartigen Bestandteilen rein zu erhalten wünsche.« Das hat Arndt 1813 geschrieben, zur Zeit der Befreiungskriege.
Im selben Jahr erschien seine Schrift »über den Volkshass und den Gebrauch einer fremden Sprache«, in der es heißt: »Ich will den Hass gegen die Franzosen, nicht bloß für diesen Krieg, ich will ihn für immer. (...) Dieser Hass glühe als die Religion des deutschen Volkes, als ein heiliger Wahn in allen Herzen und erhalte uns immer in unsrer Treue, Redlichkeit und Tapferkeit.«
Man könnte eine Weile so fortfahren, und auch die Pro-Arndt-Fraktion stellt nicht in Abrede, dass es sehr hässliche Sätze aus seiner Feder gegeben hat. »Den völkischen Nationalismus und die Hasspredigten in Arndts Werk gilt es zu verachten!« schreibt die Arndt-AG auf ihrer Internetseite. Sie setzt aber auch »positive« Zitate dagegen: »Gleichheit und Gerechtigkeit in Liebe und Mitleid mit allen Lebendigen, ihr seid die erhabenen Lehren des heiligen Stifters des Christentums, ihr müsst die Gesetze der Staaten und Völker sein.« Und natürlich das »Vaterlandslied«: »Der Gott, der das Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte ...«
Zutiefst gespaltene Professorenschaft
Angesichts dessen nimmt der eingangs erwähnte Dr. Bräsel eine Einordnung vor, die für das Arndt-Lager wohl repräsentativ ist: »Eine Persönlichkeit«, schreibt er, »ist stets in einem konkreten historischen Kontext zu betrachten und in einem damit verbundenen Wissens- und Handlungsraum zu werten. Heutige Erkenntnisse bzw. in einem späteren historischen Prozess gewachsene Einstellungen oder Sichtweisen von historischen Personen einzufordern ist unhistorisch und eindimensional.«
Vor wenigen Tagen sind die Sichtweisen im Greifswalder »Debattierklub« erstmals in geregeltem Rahmen und mit Vorbereitung aufeinandergetroffen. Arndt habe »inhaltlich das volle Programm der Nazis« vertreten, sagte Jabbusch auf der Veranstaltung. Wer Texte schreibe, müsse auch mit deren Umsetzung rechnen, auch Jahrzehnte später. Arndt-Befürworter Henning Krüger hielt dagegen, dass Arndt eine »vielfältige Persönlichkeit« sei und eine »Herausforderung« für die heutigen Studierenden. Bei einem Fallenlassen des Namens würde man sich mit Arndt nicht mehr auseinandersetzen. Genauer allerdings wurde er nicht.
In der Tat hat die jetzige Emotionalisierung der Debatte an der Uni selbst etwas bewegt. Obwohl mehrere fachlich zuständige Professoren schon 2001 – auch im Auftrag des Rektorates – ein wissenschaftliche Arndt-Tagung mit überwiegend kritischen Ergebnissen abgehalten hatten, hat die Universität bis vor kurzem nach außen zu ihrem Patron keinerlei Stellung bezogen. Inzwischen gibt es ein sehr allgemeines Kurzporträt auf der Internetseite, eine Bibliografie und einen Text zur Rezeption Arndts in Kaiserreich, Nationalsozialismus, DDR und Bundesrepublik. Verfasst wurde letzterer von Irmfried Garbe, einem Theologen der Greifswalder Uni. Garbe warnt vor einem »polemischen« Arndt-Bild.
Damit meint Garbe auch wichtige Teile der Greifswalder Professorenschaft. »Für Arndt ist der Völkerhass nicht nur ein kurzzeitiges Aufflackern«, schrieb etwa der Historiker Thomas Stamm-Kuhlmann 2001 als sein Fazit des Arndt-Symposions an der Uni, »sondern er hält ihn für ein notwendiges Element, um das deutsche Nationalbewusstsein dauerhaft wach zu halten.«
Einmal hat die DDR gewonnen
Sein Kollege Werner Buchholz, Inhaber des landesgeschichtlichen Lehrstuhls, ging kürzlich in einem Interview noch weiter: »Größere Verdienste lassen sich Arndt aus meiner Sicht nicht zusprechen, aus diesem Grund würde ich ihn weder Philosoph noch Wissenschaftler nennen. Vielmehr zeichnete er sich durch antisemitische und franzosenfeindliche Äußerungen aus.« Buchholz legt Wert darauf, dass Arndts berühmte Schrift gegen die Leibeigenschaft in Pommern keinesfalls den Ausschlag gegeben habe zu deren Abschaffung: »Diese wäre in jedem Fall abgeschafft worden, als Pommern 1806 zu einer schwedischen Provinz wurde, denn in Schweden hatte es nie Leibeigenschaft gegeben.«
Die Gegnerschaft zur Leibeigenschaft ist aber tatsächlich eines der wichtigsten Merkmale, mit der sich die Erinnerungspolitik der DDR einen »bürgerlichen Demokraten« Arndt erschuf, der mit dem »Vordenker des Dritten Reiches«, wie er noch kurz zuvor geehrt worden war, scheinbar keine Verbindung mehr hatte. Auf Grundlage dieses revidierten Bildes führte auch die Greifswalder Uni ab 1954 den 1933 verliehenen und nach dem Krieg zunächst vergessenen Namen wieder ein. Der ehemalige Diplomat Dr. Bräsel fasst das DDR-Bild von Arndt zusammen: Gegner der napoleonischen Fremdherrschaft, Verfechter der nationalen Einheit, »die es ohne den Einsatz von Menschen wie ihm nie hätte geben können«, mit Berufsverbot belegter Gegner der Restauration, von den Nazis zur »missbraucht«. Und was Antisemitismus und Chauvinismus angeht: War nicht Wagner auch Antisemit – und doch pilgert die Kanzlerin jährlich nach Bayreuth? Wird nicht auch Ernst Jünger nach wie vor geehrt?
Die Greifswalder Namensdebatte ist schon zweimal Gegenstand wissenschaftlicher Publikationen geworden. Neben der Dokumentation der Tagung von 2001 gibt es eine Untersuchung der damaligen Debatte in der Regionalzeitung. Die Deckungsgleichheit der Positionen zu Arndt zwischen jungen bundesrepublikanischen Konservativen im Jahr 2009 und dem staatlichen Verständnis der DDR empfähle sich als Gegenstand weitere Untersuchungen. Wer die Pro-Arndt-Seiten liest, bekommt den Eindruck: Einmal hat die DDR doch noch gewonnen.
Zunächst aber ist Wahlkampf in Sachen Arndt, da wird die Wissenschaft zurückstehen müssen. Bald ist wieder Vollversammlung, Mitte Januar soll endlich abgestimmt werden. Das Ergebnis wird ein starkes Signal für die Uni-Leitung sein. Befürworter und Gegner des Uni-Patrons haben bis dahin noch einmal Zeit, gründlich in der Zitatekiste wühlen. Auf die Fundstücke darf man gespannt sein.
Ernst Moritz Arndt, geboren 1769 auf Rügen, gestorben 1860 in Bonn. Der Wissenschaftler, Politiker, Historiker und Dichter wurde in der Weimarer Republik und verstärkt nach 1933 Namenspatron zahlreicher Schulen – und der Greifswalder Uni. Schon seit acht Jahren gibt es dort Bestrebungen, den Namen aufzugeben.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.