Renaissance der Stadtguerilla
Vermutlich linke Autonome greifen die BKA-Außenstelle, Parteibüros und das Bundeskanzleramt an
Die Täter gingen gezielt vor. An Zufahrtstraßen und auf dem Fluchtweg streuten sie Dutzende »Krähenfüße« aus – scharfkantige, handtellergroße Eisenkreuze, die bei Verfolgern zu platten Autoreifen führen sollen. Dann griffen die linken Autonomen die schwer gesicherte Außenstelle des Bundeskriminalamtes (BKA) in Berlin-Treptow mit Molotowcocktails, Steinen und Farbflaschen an. Sie wollten mit ihrer Tat an den Tod eines griechischen Jugendlichen erinnern, der vor einem Jahr von der Polizei erschossen worden war, hieß es in einem Bekennerschreiben, das ND vorliegt.
Verletzt wurde niemand, Sicherheitskräfte konnten die Brände schnell löschen, erklärt ein Polizeisprecher dieser Zeitung. Auch der Sachschaden habe sich in Grenzen gehalten. Eine neue Qualität linker Gewalt will man bei der Polizei deshalb nicht erkennen. »Steinwürfe auf Polizeigebäude gab es auch schon in der Vergangenheit.«
Doch in dieser Nacht zum Freitag kracht es in der Hauptstadt nicht nur an der BKA-Außenstelle, sondern auch an zwei Büros von Bundestagsabgeordneten. »Wir haben uns exemplarisch die Bürgerbüros von zwei mit JA stimmenden Bundestagsabgeordneten ausgesucht und mit Farbbeutel beworfen und mit Sprühereien verziert«, heißt es in einem Schreiben, das ND ebenfalls zugesandt wurde. Darin begründen Kriegsgegner die Attacken auf die Büros der Bundestagsabgeordneten Petra Merkel (SPD) und Hans-Georg Wellmann (CDU) mit deren Zustimmung zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan.
In einer dritten Anschlagsserie in der Nacht zu Freitag bekennen sich überdies im Internet Klimaschützer aus Anlass des kommenden Gipfels in Kopenhagen zu Farbangriffen auf zwölf Gebäude in der Hauptstadt – unter ihnen auch das Bundeskanzleramt. »Es hat in der Nacht zum Freitag einen Farbanschlag auf den südlichen Verwaltungsflügel des Bundeskanzleramtes gegeben«, bestätigt die Pressestelle von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gegenüber ND. Die Polizei ermittele wegen Sachbeschädigung.
Die ohnehin gestiegene linksradikale Gewalt erreicht damit in der Hauptstadt einen neuen Höhepunkt – und eine neue Qualität, die an längst überwundene Stadtguerilla-Konzepte der 70er Jahre erinnert: Allein drei Polizeigebäude wurden in Berlin seit dem 25. November angegriffen. Dazu kommen Attacken auf Luxuslofts und eine Anschlagsserie auf sogenannte Nobelkarossen, bei der in diesem Jahr bereits über 270 Fahrzeuge in Flammen aufgingen.
Offenbar sind mehrere Faktoren für die Eskalation der Gewalt ursächlich: Militante Aktionen scheinen nämlich nicht mehr nur bei linksradikalen Autonomen, sondern auch verstärkt bei Klimaaktivisten und Kriegsgegnern angewendet zu werden. Hinzu kommt, dass die Überbleibsel der Hausbesetzerszene in Aufruhr sind, weil mit der »Brunnenstraße 183« in der vergangene Woche ein seit 1997 bestehendes Wohnprojekt im Berliner Bezirk Mitte geräumt wurde. Der Zusammenschluss »Wir bleiben alle! (WBA)«, in dem viele ehemals besetzte Häuser der Stadt organisiert sind, hatte unlängst wegen dieser Räumung den gesamten Dezember kurzerhand zum »Aktionsmonat« erklärt. »Unkontrollierbar, vielfältig, subversiv, kreativ – sorgen wir für einen heißen Winter!«, lautet es in dem Aufruf, der in der linksradikalen Szene offensichtlich nicht nur auf verbale Zustimmung stößt.
Beim Verfassungsschutz sieht man die Entwicklung mit Sorge, eine neue Qualität hätten die Anschläge jedoch nicht. »Das ist keine Entwicklung der letzten Tage und Wochen, sondern ist seit dem G8-Gipfel in Heiligendamm zu beobachten«, meint die Chefin des Berliner Verfassungsschutzes, Claudia Schmid, gegenüber ND. Zahlenmäßig sei die linksradikale Szene in der Hauptstadt auch nicht gewachsen. Vielmehr würden diejenigen, die Gewalt ausüben, das »intensiver und aggressiver« tun.
Die oppositionelle CDU erneuerte gestern unterdessen ihre Vorwürfe gegenüber dem rot-roten Senat, dass dieser die Vorfälle herunterspielen würde. »Vor allem Vertreter der Linkspartei bewegen sich sogar im Dunstkreis dieser extremistischen Szene«, behauptete der CDU-Fraktionschef Frank Henkel.
Derartige Unterstellungen wies der Landeschef der LINKEN, Klaus Lederer, im ND-Gespräch als »Instrumentalisierungsbedürfnis von politischen Kräften« vehement zurück. »Wer Mollies auf Polizeiwachen schmeißt, der nimmt in Kauf, Menschen zu töten«, stellt Lederer klar. Damit habe die LINKE rein gar nichts zu schaffen. Als Konsequenz aus den letzten Wochen werde die Partei aber auch keine Demonstrationen mehr anmelden, bei denen zu Gewalt aufgerufen werde oder wo Gewalt im Spiel sein könnte.
Dass die Eskalation indes kein spezifisches Berliner Problem ist, zeigt auch der Blick über die Landesgrenzen nach Hamburg: Auch dort griffen Autonome in Stadtguerilla-Manier eine Polizeiwache im Schanzenviertel an.
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