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Umsonst ist nicht immer umsonst

Gemeinwohlorientiertes Handeln nimmt zu. In der ehrenamtlichen Tätigkeit geht es aber auch um Berufsorientierung

  • Jens Thomas
  • Lesedauer: 5 Min.
SERIE: MIT BILDUNG AUS DER KRISE? Bildung ist der sicherste Schutz vor Arbeitslosigkeit – die derzeitige Weltwirtschaftskrise scheint dieses Diktum zu betätigen. Bildung ist nicht mehr nur der Schlüssel für Wohlstand, sondern zunehmend eine Art »Lebensversicherung« gegen den sozialen Abstieg. Der Druck auf dem Arbeitsmarkt und im Bildungssystem nimmt längst auch innerhalb der Mittelschicht zu. Wer profitiert von solchen Entwicklungen, welche Personengruppen bleiben ausgeschlossen und wie verändert sich unser Verständnis von Bildung? In einer Reihe beschäftigte sich ND in den vergangenen Monaten mit diesen Fragen. Mit den beiden heutigen Beitrag endet die Serie.

Auf die Uhr schaut Alexandra M. selten. »Beim Füttern, Rollstuhlschieben bleibt da kaum Zeit«, sagt die 21-Jährige aus Berlin. Alexandra M. ist gelernte Heilerziehungspflegerin, nebenher arbeitet sie ehrenamtlich in einer Einrichtung für geistig und körperlich Behinderte. »Ich möchte anderen durch meine Arbeit helfen, und die Zufriedenheit der Menschen ist mein bester Lohn«, sagt die junge Frau.

Etwa 23 Millionen Menschen sind in Deutschland ehrenamtlich tätig, das ergeben die Gutachten des Freiwilligensurveys im Auftrag der Bundesregierung aus dem Jahre 1999 und 2004. Erst im nächsten Jahr wird eine neue Studie veröffentlicht. Keineswegs nur die »Alten« bringen sich heute unentgeltlich in das Gemeinwesen ein. Die Gruppe der 14- bis 24-Jährigen ist sogar das mit den meisten hochaktiv ehrenamtlich, freiwillig Engagierten, die deutlich mehr als fünf Stunden pro Woche aufbringen. Insgesamt spielt weniger der Faktor Zeit als die Erfahrung eine große Rolle beim freiwilligen Engagement, das ergab eine weitere Studie des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen. Wer sich schon vor seinem 50. Lebensjahr für soziale Aktivitäten einsetzt, führt sein Engagement im Alter häufig weiter.

Auch Alexandra M. möchte ihr Engagement fortsetzen, und sie weiß, dass die Arbeit mit Menschen »hohe Einsatzkraft fordert«. Empathievermögen, Ausdauer und Geduld sind Voraussetzungen für die Tätigkeit in ihrem Bereich. Früher wollte Alexandra M. einmal Leistungssportlerin werden, ehe sie die soziale Arbeit für sich entdeckte. »Ich möchte einen Beitrag für die Gesellschaft leisten, und durch meine ehrenamtliche Tätigkeit kann ich erste Berufserfahrungen sammeln.«

Wunsch nach sozialen Kontakten

So wie bei Alexandra M. geht es den meisten ehrenamtlich Engagierten heute um den Wunsch nach sozialen Kontakten, sozialer Einbindung und an Gestaltungsprozessen in der Gesellschaft. Für drei Viertel ist zudem wichtig, ihre Kenntnisse und Erfahrungen zu erweitern, so das Ergebnis der Freiwilligensurveys. Ein beruflicher Nutzen ist hingegen nur für eine Teilgruppe von etwa 20 Prozent von Bedeutung. Gleichwohl nimmt gerade bei jüngeren Leuten und Arbeitslosen eine sogenannte Interessenorientierung in den Umfragen zu.

Aus dem gemeinschaftsorientierten Ehrenamt ist so auch ein Akt der Selbstorganisation geworden. Der Soziologe Peter Schüll führt in seinem Buch »Motive Ehrenamtlicher« an, dass egoistische Motivanteile einem Engagement, das Fremdnutzen erzeugt, heute nicht entgegenstehen. Von einem »Strukturwandel des Ehrenamts« sprechen die Autoren Karin Beher, Reinhard Liebig und Thomas Rauschenbach in ihrem gleichnamigen Buch. Das Engagement erwächst heute nicht länger nur aus Selbstverständlichkeiten, das Bedürfnis und die Ziele des Ehrenamtes seien »konkreter« geworden. Der Umfang ehrenamtlichen Engagements könne nicht mehr als Indikator für gesamtgesellschaftliche Solidarpotenziale gesehen werden, so auch der Soziologe Schüll.

Die Geschichte bürgerlichen Engagements reicht bis in die klassische Antike und das abendländliche Christentum zurück. Bereits im Mittelalter wurde die Versorgung der Armen mittels Almosen ersetzt. Nach der Reformation ließ sich der Dienst am Gemeinwesen dann »verdienen«: die Preußische Städteordnung schrieb erstmals 1808 die Möglichkeit zur Mitbestimmung des Bürgertums fest. Durch die Preußische Städteordnung konnten die Bürger sogar zur Übernahme öffentlicher Stadtämter verpflichtet werden, ohne dafür einen Lohn zu erhalten. Mitte bis Ende des 18. Jahrhunderts entstanden sogenannte Armensysteme mit ehrenamtlichen Helfern, die als Ursprünge des modernen Sozialstaat gelten können. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelten die ehrenamtlich tätigen Bürger die kommunale Armenpflege, die als Grundlage für die moderne organisierte Sozialarbeit gilt.

Alexandra M. arbeitet heute in einer sozialen, karitativen Einrichtung. Lange Zeit waren ehrenamtliche Arbeiten ausschließlich Tätigkeiten in Institutionen, die in Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften, in diversen Vereinen und Verbänden oder in Parteien ausgeübt wurden. Laut Freiwilligensurvey zählt der Bereich »Kirche und Religion« auch heute noch zu den bedeutenderen Feldern des freiwilligen Engagements. Gleichwohl wird das »klassische« Ehrenamt in Einsatzbereichen wie Krankenhäusern, Altenheimen, der Feuerwehr oder dem Sportverein zunehmend ersetzt durch »moderne« Einsatzgebiete im kulturellen Bereich, in Museen, Theatern bis hin zu Netzwerken im Internet. Vor allem junge Menschen engagieren sich im Bereich »Sport und Bewegung« (40 Prozent), der »Kirchlich/Religiöse Bereich« rangiert hingegen auf den hinteren Plätzen (13 Prozent).

Ersatzleistung für staatliche Aufgaben

Aus selbstlosem Handelns ist gerade in Zeiten klammer Kassen auch ein Prinzip ökonomischer Verwertung durch das Ehrenamt geworden. Eine funktionierende Bürgergesellschaft stützt sich auf den Sozialstaat als Garant für soziale Rechte und auf das soziale Engagement ihrer Bürger als Gestaltungsprinzip für ein Gemeinwesen. Ehrenamtliches Engagement kann aber zu einer Ersatzleistung für die Aufgaben des Staates werden, wenn Arbeitsplätze knapp sind. Zur Überforderung kann soziales Engagement zudem führen, wenn Ehrenamt zur Ersatzleistung für hauptberufliche Tätigkeiten wird. Ohnehin sind die sozial Integrierten und beruflich, finanziell besser Abgesicherten viel eher zum Engagement bereit. Ehrenamt und Erwerbstätigkeit fallen heute besonders im Feld der Sozial-, Erziehungs- und Gesundheitsberufe zusammen. Dieser Bereich expandierte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts um ein Fünffaches und gehört heute zu einem Tätigkeitssegment konturierender Dienstleistungsberufe.

Alexandra M. will sich auch in den nächsten Jahren weiter sozial engagieren. Jetzt möchte sie aber erst einmal Soziale Arbeit studieren. »Ich will mich beruflich weiterentwickeln«, sagt die Berlinerin. Und durch ihre jetzige Tätigkeit hofft sie später auf eine Festanstellung.

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