Wer aufmuckt, wird für verrückt erklärt
Regierung Koch schweigt und will aktuellen Steuerhinterziehungsskandal aussitzen
Anlass der Debatte war ein Bericht der Frankfurter Rundschau (FR). Danach hatten die Landesbehörden im Jahre 2000 detaillierte Daten über Stiftungen von prominenten Kunden eines Liechtensteiner Treuhänders erhalten. Hierbei tauchten neben anderen auch die Namen des verstorbenen Milliardärs Friedrich Karl Flick und des Springreiters Paul Schockemöhle auf. Die Fahnder der Staatsanwaltschaft Bochum (Nordrhein- Westfalen) hätten 200 Millionen Euro Schwarzgeld entdeckt und 119 Verfahren gegen Steuersünder abgeschlossen, so die FR.
Obwohl auch Fälle in der Mainmetropole Frankfurt auf der Bochumer Liste gestanden hätten, seien die Frankfurter Steuerfahnder damals jedoch von ihren Vorgesetzten daran gehindert worden, diese zu bearbeiten. Die Bochumer hätten »kein weitergehendes Beweismaterial übersandt, das ein strafrechtlich fundiertes Vorgehen ermöglicht hätte«, rechtfertigt sich das hessische Finanzministerium.
Der Darstellung von Hessens Finanzminister Karlheinz Weimar (CDU), dass es sich bei den hessischen Steuerflüchtlingen lediglich um Kleinsparer und Rentner gehandelt habe, widerspricht die FR. Eine Tochter der Deutschen Bank habe von München aus das Liechtenstein-Geschäft »ausschließlich für Großanleger« abgewickelt, so das Blatt.
Recherchen ergaben, dass es sich bei den damaligen Frankfurter Fahndern exakt um diejenigen Beamten handelte, die später gezielt mit psychiatrischen Gefälligkeitsgutachten dienstunfähig geschrieben wurden (ND berichtete). Hermann Schaus (Linksfraktion) warf dem Ministerium ein »Kaltstellen von mutigen Steuerfahndern mittels Mobbing und Gefälligkeitsgutachten« sowie die »Auflösung eines erfolgreich arbeitenden Steuerfahnderteams« vor.
»Dieser Fall ist unfassbar«, kommentiert der ehemalige bayerische Ministerialbeamte Wilhelm Schlötterer (CSU) die offensichtliche Intervention der Regierung des Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) in die hessische Steuerfahndung. »Koch und Weimar haben sich verraten, in dem sie vier Steuerfahnder einer Gruppe praktisch im Quartett für verrückt erklären ließen – was für eine Ungeheuerlichkeit«, so Schlötterer, der jüngst in einem Buch ähnliche Vorgänge im Freistaat Bayern enthüllte. Ein Ministerpräsident schwebe nicht über solchen Dingen. Koch sei »der bestinformierte Mann des Landes und hätte handeln müssen«, gibt das CSU-Mitglied zu bedenken.
Im Landtagsplenum forderte der Abgeordnete Ulrich Wilken (DIE LINKE) den Rücktritt von Koch und Weimar: »Sie haben von den Vorgängen gewusst.« Wer in Hessen aufmucke, werde psychiatrisiert, bemängelte Wilken. »Diesen Koch wollten wir nicht zum Ministerpräsidenten wählen«, spielte der Grüne Mathias Wagner auf Jamaika-Angebote Kochs 2008 an. »Diese Vertuschung wird auf Dauer nicht so bleiben«, prophezeite der SPD-Abgeordnete Günter Rudolph der CDU/FDP-Koalition. Der Sozialdemokrat forderte eine »Korrektur des begangenen Unrechts« an den vier Steuerfahndern.
»Die Neokommunisten sind aus einem System der Bespitzelung hervorgegangen«, kritisierte der CDU-Abgeordnete Axel Wintermeyer die Antragsteller und ihr Anliegen. Auf die Inhalte ging er jedoch nicht ein. Koch und Weimar waren diesem Teil der Debatte ebenso gezielt ferngeblieben wie die allermeisten CDU-Abgeordneten. FDP und Regierung verzichteten in der Aktuellen Stunde zudem auf die ihnen zustehende Wortmeldung.
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