Don Quixote aus Diyarbakir
»Istanbul Next Wave« zeigt aktuelle türkische Kunst im Gropiusbau und in der Akademie der Künste
Das Abendland sucht das Licht der Aufklärung, das Morgenland hingegen den Duft der Verinnerlichung. Mit diesem Gleichnis von Kerze und Weihrauch leitete Cetin Güzelhan, Kurator der Ausstellung »Istanbul Next Wave« im Martin Gropius Bau und der Akademie der Künste, den umfangreichen Katalog zu dieser Präsentation aktueller türkischer Kunst in Berlin ein.
Kerze und Weihrauch entzünden sich an demselben Feuer. Erstere verströme jedoch das Licht, der andere Duft, schrieb laut Güzelhan bereits im 14. Jahrhundert der Gelehrte Ahmedi in seinem Buch über den militärischen Brückenbauer zwischen Orient und Okzident, Alexander den Großen. Führt Ahmedi Duft und Licht noch zu einer versöhnenden Einheit zusammen, so schlägt sich die dreiteilige Ausstellung auf die Seite des abendländisch vereinnahmten Lichts. Das ist nicht verwunderlich. Schließlich wurden die Grundlagen dessen, was sich heute als zeitgenössische Kunst in Istanbul artikuliert, durch die von Europa beeinflusste akademische Malerei im späten 19. Jahrhundert gelegt.
Der Ausstellungsteil im Gropiusbau illustriert diesen Prozess über den Zeitraum der letzten 70 Jahre. Das Gros machen realistische Arbeiten aus, wenngleich auch kubistische und abstrakte Formspielereien sowie Mischtechniken und Collagen und, im letzten Teil, einige Videos zu sehen sind. Die Akademie der Künste zeigt in seiner alten Dependance am Hanseatenweg dezidiert kritische Kunst aus den letzten 40 Jahren und in seinem Haupthaus am Pariser Platz aktuelle Positionen von 17 Künstlerinnen. Darunter befinden sich durchaus bemerkenswerte Arbeiten.
Sükran Moral etwa sticht mit ihren provokanten Performances mitten hinein in das Problem der zementierten Geschlechterverhältnisse. Mit entblößter Brust befindet sie sich in einem nur von Männern besuchten Dampfbad. Die Männer, die im Ausschnitt der Kamera zu sehen sind, behandeln sie mit zurückhaltender Freundlichkeit, scheuen aber weder ihre Nähe noch äußern sie Empörung. Einen subtilen Hinweis auf den dennoch stattgefundenen Tabubruch gibt nur der Masseur.
Die gesamtpolitischen Verhältnisse haben Irfan Önürmen und Bedri Baykam im Blick. Önürmen formt aus zusammengepressten Zeitungsblättern, die seiner Meinung nach nur eine verzerrte Sicht auf die Welt enthalten, die Objekte, die durch eben diese Zeitungen in einem permanenten Umlauf gehalten werden: Pistolen, Maschinengewehre, Panzer, Bomben, Militärflugzeuge und Projektile. Baykam, Sohn eines einflussreichen kemalistischen Politikers, ist mit Bildnissen der türkischen 68er-Ikone Deniz Gezmis (er wurde von den Militärs hingerichtet) und einem visuellen Zweifel an den Reformbemühungen des neuen US-Präsidenten Obama vertreten.
Ausgerechnet Baykam, der mit seiner Kunst auf den Pfaden der im Westen tradierten politischen Kunst wandelt, kritisierte in einer Podiumsdiskussion am Rande der Ausstellung, dass der Westen von der Türkei immer nur das wahrnehme, was ihm politisch und ästhetisch in den Kram passe. Er nannte als Beispiele den Genozid an den Armeniern und die kurdische Frage, aber auch die von westlich orientierten Kuratoren vorgenommene beschränkte Auswahl von türkischen Künstlern, die den Kriterien des globalisierten Kunstmarktes entsprechen.
Baykams Analyse trifft sowohl im politischen als auch ästhetischen Feld zu. Zu den Paradoxien unserer Zeit gehört aber auch, dass Baykam seine Kritik an der okzidentalen Diskursführerschaft gerade in einem derart geprägten Kontext anbringt. Eben die kritisierten Zustände erlauben ihm das Sprechen.
Das Grundthema dieser dennoch sehr wichtigen und eine große Lücke schließenden Ausstellung artikuliert ein Video von Sener Özmen und Erkan Özgen auf hinreißende Art und Weise. Die beiden Männer machen sich als in Schlips und Kragen gewandte moderne Nachfahren von Don Quixote und Sancho Panza auf Pferd und Esel vom kurdischen Diyarbakir auf den Weg zur Londoner Galerie Tate Modern. Die Nachricht über das Eintreffen steht noch aus. Aber oft ist der Weg ja schon das Ziel.
Wer sich mehr der sinnlich-verinnerlichten Seite des eingangs zitierten Gleichnisses zuwenden will, ist mit der ebenfalls im Gropiusbau angesiedelten Ausstellung »Taswir« bestens bedient.
Bis 17.1., Martin Gropius Bau (Mi.-Mo. 10-20 Uhr) und Akademie der Künste (Di.-So. 11-20 Uhr), Informationen unter: www.adk.de, www.berlinerfestspiele.de
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