Wer wird Joker im Milliardenpoker?
Wachstumsbeschleunigungsgesetz: Ministerpräsidenten errichten immer neue Hürden für die Kanzlerin
Von wegen »So viel Heimlichkeit« – in aller Offenheit gehen die CDU-Ministerpräsidenten auf Konfrontationskurs zur Kanzlerin und dem schwarz-gelben Steuerpaket. Carstensen hat für den 18. Dezember mit der Blockade seiner schwarz-gelben Landesregierung im Bundesrat gedroht, wenn Schleswig-Holstein nicht Ausgleichszahlungen für die vorgesehenen Steuersenkungen erhält. Knapp vier Milliarden Euro würden Ländern und Kommunen verlustig gehen, wenn die Regierung ab Januar das Wachstum mit mehr Kindergeld und Steuererleichterungen für Unternehmen, Hoteliers und Erben beschleunigen will. Nicht nur der Nordwesten ist dagegen Sturm gelaufen, auch Sachsen, Sachsen-Anhalt, das Saarland, Hamburg und Thüringen – allesamt CDU-regiert – signalisierten Widerspruch.
Trotz des für morgen anberaumten Gespräches mit Carstensen hat die Kanzlerin bislang immer wieder betont, nicht ähnlich wie ihr Vorgänger Gerhard Schröder (SPD) und ihr Ziehvater Helmut Kohl (CDU) agieren und einzelnen Ländern ihre Zustimmung abkaufen zu wollen. So sehr die Opposition an diesen Versicherungen Zweifel anmeldet – Kenner der Materie schließen inzwischen ein Vermittlungsverfahren zwischen Bund und Ländern nicht mehr aus. Das hieße im Klartext, dass das erste Gesetzespaket von Union und FDP nicht, wie vorgesehen, zum Jahresanfang in Kraft treten könnte. Und wäre freilich eine böse Weihnachtsüberraschung für Merkel und ihre »Wunschregierung«.
Womöglich um eine solche Bauchlandung zu verhindern, hat der saarländische Ministerpräsident Peter Müller in dieser Woche dem Feilschen eine neue Variante hinzugefügt. Er schlug in einem Interview mit »Spiegel online« einen höheren Länderanteil an der Mehrwertsteuer vor. Ansonsten sehe er keine Möglichkeit, dem Gesetzespaket im Bundesrat zuzustimmen. Müller weiß sich mit dieser Forderung nicht allein – und genießt vermutlich, der Kanzlerin gleichzeitig einen Lösungsvorschlag zu liefern und ein nicht ganz billiges Ei ins Nest zu legen.
Dass sich Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff mit einem solchen Deal anfreunden könnte, kann vermutet werden. Nachdem Niedersachsens Haltung zum Steuerpaket lange Zeit als »koalitionstreu« galt, hat Wulff gestern für neuen Zündstoff in der Debatte gesorgt. Auch er drohte im »Handelsblatt« mit einem Nein im Bundesrat – sollte Carstensen am Sonntag im Kanzleramt Zugeständnisse für Schleswig-Holstein erzwingen. Wenn schon, müsste es Vergünstigungen für alle geben.
Die Kanzlerin scheint in der Zwickmühle zu stecken, die heute gern euphemistisch als »Zielkonflikt« umschrieben wird. Gibt sie Carstensen nicht nach, fehlen womöglich am nächsten Freitag im Bundesrat nötige Stimmen. Verspricht sie ihm Kompensationen, senkt Wulff den Daumen – und folgt sie Müller, wird's teurer als gedacht. Ganz abgesehen davon, dass sie in jedem der Fälle ihr heres Prinzip der Unerschütterlichkeit konterkarieren würde und das Pokerspiel der Länder die ganze Legislaturperiode nicht wieder los würde. Ganz abgesehen davon, dass sie beim Scheitern des Gesetzes mit dem Ungetümnamen im Bundesrat ihren Mitkoalitionären FDP und CSU Anlass für neue Nadelstiche liefern würde, die mit dem Steuerpaket ihre Klientel großzügig bedacht haben. Die Hoteliers sollen ihr besonders von der CSU organisiertes Steuergeschenk von einer Milliarde jährlich über eine reduzierte Mehrwertsteuer auf Übernachtungen unter Dach und Fach bekommen. Unternehmen und ein Teil der Erben einen gesenkten Steuersatz, betuchtere Familien die Segnungen größerer Kinderfreibeträge ...
Kein Wunder, dass die Opposition, aber auch Wirtschafts- und Sozialexperten kein gutes Haar an dem Gesetz lassen. Angesichts einer Rekordneuverschuldung von 100 Milliarden im kommenden Jahr sind für sie die schwarz-gelben Geschenke für Gutbetuchte in der Vorweihnachtszeit nicht nachzuvollziehen, die Wirtschaftsweiser Peter Bofinger in der »Landeszeitung Lüneburg« als »extrem« ineffektiven Einsatz öffentlicher Mittel qualifiziert. Bofinger erwartet, dass spätestens 2011 ein »brutaler Sparkurs« stattfinden wird.
Und er darf sich der Zustimmung von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sicher sein. Auch der kündigte in der »Süddeutschen Zeitung« für die zweite Hälfte der Wahlperiode einen strikten Sparkurs an. Damit bestätigt er, was Experten wie LINKE seit Wochen sagen: Nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen wird die schwarz-gelbe Koalition als großes Streichorchester agieren. Daran ändern auch die gegenwärtigen Soloauftritte der Ministerpräsidenten nichts. Denn so nett ihr Spielchen mit der Kanzlerin auch anzuschauen ist – im Grundsatz haben weder Carstensen noch Müller noch Wulff und all die anderen etwas gegen die vorgegebene Partitur.
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