Blutender Berlusconi – nicht alle sind schockiert

Angriff auf Italiens Premierminister nach einer Wahlveranstaltung vor dem Mailänder Dom

  • Hanns-Jochen Kaffsack, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein blutüberströmtes Gesicht mit geschwollener Lippe, lädierter Nase und Augen, die empört zu fragen scheinen: »Wer ist denn so gegen mich?« Das Bild von dem, was ein seelisch labiler Mailänder am Sonntagabend aus ihm gemacht hatte, musste sich Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi am Morgen danach als erstes ansehen – der 73-Jährige verlangte nach einer Nacht mit starkem Kopfschmerz im Mailänder Krankenhaus San Raffaele sofort nach den Zeitungen. Was ihm widerfahren war, als er nach einer Wahlveranstaltung auf dem Vorplatz des Mailänder Doms in sein Auto steigen wollte, das war bereits Minuten nach dem tätlichen Angriff auf den umstrittenen Medienzar und Milliardär rund um die Welt gegangen.

Italien erinnert sich an brachiale links- wie rechtsextreme Gewalt in früheren bleiernen Jahren. Berlusconi konnte bei seiner Lektüre so auch zur Kenntnis nehmen, dass alle Zeitungen flammende Appelle gegen Gewalt in Politik und Gesellschaft auf den Titel gehoben hatten – aber auch auf das vergiftete politische Klima im Land eingingen. Zu dem hat er mit harten und mitunter herabwürdigenden Seitenhieben auf den politischen Gegner sehr wohl beigetragen. Doch an diesem Montag schreibt selbst »La Repubblica«, die Speerspitze im Kampf gegen Berlusconi: »Diese Ladung der Gewalt, die aus den Bildern spricht, erreicht uns alle.«

Der Frontalkrieg mit einem Mann, der das Parlament gern links liegen lässt und eine absolutistische Politik zu lieben scheint, war aber nicht ganz eingestellt. Weniger schockiert zeigten sich zwei der schärfsten Berlusconi-Gegner: »Ich bedauere die Gewalt, aber er hat ein Klima des Hasses geschaffen«, so Antonio Di Pietro von der Anti-Korruptions-Partei Idv (Italien der Werte) über einen konservativen Premier, der sich erneut vor Gerichten wegen Bestechung zu verantworten hat.

»Er kann sich jetzt aber nicht als Opfer fühlen«, schlug Rosy Bindi von der größten Oppositionspartei PD (Demokratische Partei) in dieselbe Kerbe: »Wir sind mit dem Premier zwar solidarisch, aber unter denen, die dieses Klima aufgebaut haben, ist auch Berlusconi.« Bindi war es, die in einer Äußerung des Lebemanns als »eher schön denn intelligent« beleidigt worden war. So etwas vergiftet auch. Also muss Staatspräsident Giorgio Napolitano als Mann des Ausgleichs die Wogen zu glätten versuchen: »Die Politik muss wieder in die Grenzen des zivilen Anstands verwiesen werden.«

Wenn auch klammheimliche Freude über die Gewalt von Mailand aufkommt und der Täter zum »Mann des Jahres« erkoren wird, kann Berlusconi von seinen Mannen umso leichter als Opfer des Hasses beschrieben werden: Der Mailänder Massimo Tartaglia habe im Internet bereits einen Fanclub, dem bald 20 000 Mitglieder beigetreten sein dürften, schätzt »La Repubblica«. Solche »Politik« im Internet-Zeitalter macht es einer ernsthaften Opposition nicht leichter, gegen den Cavaliere zu punkten – und es gibt nach Ansicht von Beobachtern jenen gute Karten in die Hand, die politisches Kapital für den durch Affären bedrängten Berlusconi schlagen möchten.

Drei Monate vor Regionalwahlen hat die Krise um Berlusconi somit überraschend einen neuen Akzent bekommen – an dem Tag, an dem er in Mailand einen Befreiungsschlag einleiten und die Mobilisierung der Wähler antreiben wollte. Es wurde aber ein Tag, an dem er nicht nur Schmerzen zu ertragen hatte. Er musste mit ansehen, wie sein blutendes Gesicht weltweit einen gezeichneten Berlusconi zeigte – zu seinem politischen Nachteil dürfte das aber wohl kaum sein.

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